OCR und Formatiert Ц Nina & Leon Dotan,† ldn-knigi.narod.ru/Judaica.htm†† 10.2003

(ldn-knigi.russiantext.com/Judaica.htm)

Zusдtzliches Material zum Buch - Alfred Lemm ДDer Weg der DeutschjudenУЦ Leipzig, 1919, Thema Zionismus

{89}† - Seitenanfangszahl

 

 

 

Auszьge aus dem Buch Ц

 

 

 

ALBERT EINSTEIN

ДMein WeltbildУ

 

 

IV J№DISCHE PROBLEME

J№DISCHE IDEALE

{89}

Streben nach Erkenntnis um ihrer selbst willen, an Fanatismus grenzende Liebe zur Gerechtigkeit und Streben nach persцnlicher Selbstдndigkeit Ч das sind die Motive der Tradition des jьdischen Volkes, die mich meine Zugehцrigkeit zu ihm als ein Geschenk des Schicksals empfinden lassen.

Diejenigen, die heute gegen die Ideale der Vernunft und der indi≠viduellen Freiheit wьten und mit den Mitteln brutaler Gewalt die geistlose Staatssklaverei durchsetzen wollen, sehen mit Recht in uns ihre unversцhnlichen Gegner. Die Geschichte hat uns einen schweren Kampf auferlegt. Aber solange wir ergebene Diener der Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit bleiben, werden wir nicht nur fort≠bestehen als eines der дltesten lebenden Kulturvцlker, sondern auch wie bisher in produktiver Arbeit Werte schaffen, die zur Veredelung der Menschheit beitragen.

 

GIBT ES EINE J№DISCHE WELTANSCHAUUNG?

 

Eine jьdische Weltanschauung im philosophischen Sinne gibt es nach meiner Meinung nicht. Judentum scheint mir fast ausschlieяlich. die moralische Einstellung im Leben und zum Leben zu betreffen. Judentum scheint mir mehr der Inbegriff der im jьdischen Volke lebendigen Lebenseinstellung zu sein als der Inbegriff der in der Thora niedergelegten und im Talmud interpretierten Gesetze. Thora und Talmud sind fьr mich nur die wichtigsten Zeugnisse fьr das Walten der jьdischen Lebensauffassung in frьherer Zeit.

Das Wesen der jьdischen Lebensauffassung scheint mir zu sein:

Bejahung des Lebens aller Geschцpfe. Leben des Individuums hat {90} nur Sinn im Dienst der Verschцnerung und Veredelung des Lebens alles Lebendigen. Leben ist heilig, d. h. der hцchste Wert, von dem alle Wertungen abhдngen. Die Heiligung des ьber-individuellen Le≠bens bringt die Verehrung alles Geistigen mit sich Ч ein besonders charakteristischer Zug der jьdischen Tradition.

Judentum ist kein Glaube. Der jьdische Gott ist nur eine Ver≠neinung des Aberglaubens, ein Phantasieersatz fьr dessen Beseiti≠gung. Es ist auch ein Versuch, das Moralgesetz auf Furcht zu grьn≠den, ein bedauernswerter unrьhmlicher Versuch. Doch scheint mir, daя die starke moralische Tradition im jьdischen Volke sich weit≠gehend von dieser Furcht losgelцst hat. Auch ist deutlich, daя ДGott dienen" mit Дdem Lebendigen dienen" gleichgesetzt wurde. Dafьr haben die Besten des jьdischen Volkes, im besonderen die Prophe≠ten und Jesus, unermьdlich gekдmpft.

So ist das Judentum keine transzendente Religion; es hat nur mit dem von uns erlebten, gewissermaяen greifbaren Leben zu tun und mit nichts anderem. Es scheint mir daher fraglich, ob es eine ДRe≠ligion" im gelдufigen Sinn des Wortes genannt werden kann, zumal eben vom Juden kein ДGlaube" verlangt wird, sondern Heiligung des Lebens im ьberpersцnlichen Sinn.

Es steckt aber noch etwas anderes in der jьdischen Tradition, was sich in manchen Psalmen so herrlich offenbart, nдmlich eine Art trunkener Freude und Verwunderung ьber die Schцnheit und Er≠habenheit dieser Welt, von welcher der Mensch eben noch eine schwache Ahnung erlangen kann. Es ist das Gefьhl, aus welchem auch die wahre Forschung ihre geistige Kraft schцpft, das sich aber auch im Gesang der Vцgel zu дuяern scheint. Hier erscheint die Ver≠knьpfung mit der Gottesidee nur wie kindliche Einfalt.

 

Ist nun das Gesagte fьr das Judentum charakteristisch? Lebt es auch sonstwo unter anderem Namen? Rein lebt es nirgends, auch im Judentum nicht, wo viel Buchstabenkultus die reine Lehre ver≠dunkelt. Aber ich sehe doch im Judentum eine ihrer lebendigsten und reinsten Realisierungen. Dies gilt besonders vom Grundsatz der Heiligung des Lebens.

Es ist charakteristisch, daя im Gebot der Heiligung des Sabbats auch die Tiere ausdrьcklich eingeschlossen waren, so sehr fьhlte man die Forderung der Solidaritдt des Lebenden als Ideal. Noch viel stдrker kommt die Forderung der Solidaritдt aller Menschen zum Ausdruck, und es ist kein Zufall, daя die sozialistischen Forde≠rungen grцяtenteils von Juden ausgingen. {91}

Wie sehr aber das Bewuяtsein von der Heiligkeit des Lebens im jьdischen Volke lebendig ist, wird sehr schцn durch ein Sдtzchen veranschaulicht, daя Walther Rathenau mir gegenьber einmal in einem Gesprдch дuяerte: ДWenn ein Jude sagt, er gehe zu seinem Vergnьgen auf die Jagd, so lьgt er." Einfacher kann man das Be≠wuяtsein von der Heiligkeit des Lebens, wie es im jьdischen Volke lebt, nicht Ausdruck geben.

 

CHRISTENTUM UND JUDENTUM

 

Wenn man das Judentum der Propheten und das Christentum, wie es Jesus Christus gelehrt hat, von allen Zutaten der Spдte≠ren, insbesondere der Priester, loslцst, so bleibt eine Lehre ьbrig, die die Menschheit von allen sozialen Krankheiten zu heilen im≠stande wдre.

Dem wohlmeinenden Menschen erwдchst die Pflicht, in seinem Kreis unentwegt zu versuchen, diese Lehre der reinen Menschlich≠keit lebendig zu machen, so gut er es vermag. Wenn er dies ehrlich versucht, ohne von den Zeitgenossen verstoяen und vernichtet zu werden, so darf er sich und seine Gemeinschaft glьcklich preisen.

 

J№DISCHE GEMEINSCHAFT

Eine Londoner Rede

 

Nicht leicht fдllt es mir, den Hang zu einem Leben in stiller Be≠trachtung zu ьberwinden. Doch dem Ruf der Gesellschaften ORT und OZE durfte ich mich nicht entziehen. Denn es ist zugleich so≠zusagen der Ruf unseres schwer gedrьckten jьdischen Volkes, dem ich da Folge leiste.

Die Situation unserer ьber die Erde zerstreuten jьdischen Ge≠meinschaft ist zugleich ein Barometer des moralischen Standards in der politischen Welt. Denn was kцnnte fьr den Stand der poli≠tischen Moral und des Gerechtigkeitsgefьhles charakteristischer sein als die Haltung der Nationen gegenьber einer wehrlosen Minder≠heit, deren Besonderheit in der Wahrung einer alten Kulturtradi≠tion besteht?

Dieses Barometer steht tief in unserer Zeit. Dies fьhlen wir {92} schmerzlich an unserem Schicksal. Aber eben dieser Tiefstand be≠stдrkt mich in der №berzeugung, daя die Erhaltung und Konsoli≠dierung dieser Gemeinschaft unsere Pflicht ist. In der Tradition des jьdischen Volkes steckt ein Streben zur Gerechtigkeit und Vernunft, das der Allgemeinheit der Vцlker auch in der Gegenwart und Zu≠kunft dienen soll. Spinoza und Karl Marx sind aus dieser Tradition in neuer Zeit erwachsen.

 

Wer den Geist erhalten will, muя auch den Kцrper pflegen, an den jener gebunden ist. Die Gesellschaft OZE dient dem Kцrper unseres Volkes im wцrtlichen Sinn. In Osteuropa arbeitet sie un≠ermьdlich an der leiblichen Erhaltung unseres dort цkonomisch un≠gemein schwer bedrьckten Volkes, wдhrenddem die Gesellschau ORT eine sozial und цkonomisch schwere Schдdigung zu heben trachtet, an der das jьdische Volk seit dem Mittelalter krankt. Da≠durch, daя uns im Mittelalter die unmittelbar produktiven Berufe verschlossen blieben, wurden wir in die rein merkantilen Berufe ge≠drдngt. Dem jьdischen Volk kann in den цstlichen Lдndern nur da≠durch wirksam geholfen werden, daя man ihm neue Felder beruf≠licher Art zugдnglich macht, um die es in der ganzen Welt ringt. Dies ist das schwere Problem, an dem die ORT-Gesellschaft mit Erfolg arbeitet.

 

Zu euch, englische Volksgenossen, geht nun der Ruf, an diesem groя angelegten Werk mitzuwirken, das vortreffliche Mдnner ins Leben gerufen haben. Die letzten Jahre, ja, die letzten Tage haben uns eine Enttдuschung gebracht, die gerade euch nahegegangen sein muя. Klagt nicht ьber das Schicksal, sondern seht in diesen Ereig≠nissen ein Motiv, der Sache der jьdischen Gemeinschaft treu zu sein und zu bleiben! Ich bin der festen №berzeugung, daя wir so indirekt auch allgemeinen menschlichen Zielen dienen, die uns stets die hцchsten bleiben mьssen.

Bedenkt auch, daя Schwierigkeiten und Hindernisse eine wert≠volle Quelle der Kraft und Gesundheit einer jeglichen Gemeinschaft sind. Wir hдtten als Gemeinschaft die Jahrtausende nicht ьberlebt, wenn wir auf Rosen gebettet gewesen wдren; davon bin ich fest ьberzeugt.

Ein noch schцnerer Trost wird uns zuteil. Unsere Freunde sind nicht gerade groя an Zahl, aber unter ihnen sind Menschen von hohem Geist und Gerechtigkeitssinn, denen die Veredelung der menschlichen Gemeinschaft und die Befreiung der Individuen von entwьrdigendem Druck Lebensaufgabe ist. {93}

Wir sind froh und beglьckt, daя wir heute solche Mдnner aus der nichtjьdischen Welt unter uns haben, die diesem denkwьrdigen Abend eine besondere Feierlichkeit verleihen. Es beglьckt mich, Bernard Shaw und H. G. Welle vor mir zu sehen, zu deren Lebens≠auffassung ich mich ganz besonders hingezogen fьhle.

 

Sie, Herr Shaw, haben es fertiggebracht, die Liebe und die freu≠dige Bewunderung der Menschen zu erwerben auf einem Weg, der anderen zum Martyrium geworden ist. Sie haben den Menschen nicht nur Moral gepredigt, sondern sie haben sie sogar verspottet, was vielen unantastbar zu sein schien. Was Sie getan haben, kann eben nur der zum Kьnstler Geborene. Sie haben Ihrer Zauberschachtel unzдhlige Figьrchen entnommen, die menschenдhnlich sind, aber doch nicht aus Fleisch und Bein bestehen, sondern aus Geist, Witz und Grazie. Und doch gleichen sie dem Menschen gewissermaяen mehr als wir selber, und man vergiяt fast, daя sie nicht Schцpfun≠gen der Natur sind, sondern Schцpfungen Bernard Shaws. Diese graziцsen Figьrchen lassen Sie tanzen in einer kleinen Welt, vor der die Grazien Wache halten und kein Ressentiment hineinlassen. Wer in diese kleine Welt geblickt hat, sieht die Welt unserer Le≠benswirklichkeit in einem neuen Licht; er sieht Ihre Figьrchen in die wirklichen Menschen hineinschlьpfen, so daя diese auf einmal ganz anders aussehen als vorher. Indem Sie uns allen so den Spiegel vorhielten, wirkten Sie befreiend auf uns wie kaum ein anderer Zeitgenosse und nahmen dem Dasein etwas von seiner Erdenschwere. Dafьr sind wir Ihnen alle freudig dankbar und ebenso dem Schick≠sal, daя es uns unter schweren Krankheiten auch den Seelenarzt und Befreier beschert hat. Ich persцnlich danke Ihnen auch fьr die unvergeяlichen Worte, die Sie an meinen mythischen Namensbruder gerichtet haben, der mir das Leben so seltsam schwer macht, trotz≠dem er bei seiner ungelenken respektablen Grцяe doch im Grund ein harmloser Geselle ist.

Euch aber sage ich, daя Sein und Schicksal unseres Volkes we≠niger von дuяeren Faktoren abhдngen als davon, daя wir treu an denjenigen moralischen Traditionen festhalten, die uns Jahrtausende ьberstehen lieяen, trotz der schweren Stьrme, die ьber uns herein≠brachen. Im Dienst des Lebens wird das Opfer zur Gnade.

 

{94}

ANTISEMITISMUS UND AKADEMISCHE JUGEND

 

Solange wir im Getto lebten, brachte unsere Zugehцrigkeit zum jьdischen Volke materielle Schwierigkeiten und manchmal physische Gefahr mit sich, aber keine sozialen und seelischen Probleme. Mit der Emanzipation дnderte sich diese Sachlage, und zwar besonders fьr diejenigen Juden, die sich geistigen Berufen zuwandten.

Der junge Jude steht in Schule und Universitдt unter dem Einfluя einer von ihm hochgeachteten und bewunderten nationalgefдrbten Gesellschaft, von der er seine geistige Nahrung empfдngt, zu der er sich zugehцrig fьhlt und von der er sich gleichzeitig als Artfremder mit einer gewissen Geringschдtzung und Abneigung behandelt sieht. Mehr unter dem suggestiven Einfluя dieser seelischen №bermacht als von utilitaristischen Rьcksichten getrieben, kehrt er seinem Volk und dessen Traditionen den Rьcken und betrachtet sich restlos als zu den дndern gehцrig, indem er vor sich und den дndern vergebens zu verbergen sucht, daя dies Verhдltnis kein gegenseitiges ist.

So entsteht der bedauernswerte getaufte jьdische Geheimrat von gestern und heute. Meist hat ihn nicht Charakterlosigkeit und Streberei zu dem gemacht, was er ist, sondern Ч wie gesagt Ч die suggestive Macht einer an Zahl und Einfluя ьberlegenen Umgebung. Wohl weiя er, daя viele und vortreffliche Sцhne des jьdischen Volkes zu der Blьte von Europas Kultur erheblich beigetragen haben. Aber haben sie es nicht mit wenigen Ausnahmen alle ungefдhr so gemacht wie er?

Wie bei vielen seelischen №beln liegt die Heilung auch hier in der klaren Erkenntnis seines Wesens und seiner Ursachen.

 

Wir mьssen uns unserer Artfremdheit klar bewuяt sein und aus ihr die Konse≠quenzen ziehen. Es hat keinen Sinn, zu versuchen, die anderen von unserer seelischen und geistigen Ebenbьrtigkeit durch Deduktionen ьberzeugen zu wollen; denn die Wurzel ihres Verhaltens sitzt nicht im Groяhirn. Wir mьssen uns vielmehr sozial emanzipieren, unsere gesellschaftlichen Bedьrfnisse in der Hauptsache selbst befriedigen. Wir sollen unsere eigenen Studentengesellschaften haben und den Nichtjuden gegenьber hцfliche, aber konsequente Zurьckhaltung ьben. Dabei wollen wir nach unserer eigenen Art leben und nicht Trink- und Pauksitten kopieren, die unserem Wesen fremd sind.

Man kann ein Trдger der Kultur Europas, ein guter Bьrger eines Staates und zugleich ein treuer Jude sein. Sind wir dessen eingedenk und handeln wir danach, dann ist das Problem des Antisemitismus, soweit es gesellschaftlicher Natur ist, fьr uns gelцst.

 

{95}

ANSPRACHEN №BER DAS PALƒSTINENSISCHE AUFBAUWERK ( ldn-knigi- vor 1948!)

l.

Als ich vor zehn Jahren die Freude hatte, fьr die Fцrderung des zionistischen Gedankens zum ersten Male zu Ihnen zu kommen, da war fast alles noch auf die Zukunft gestellt. Heute kцnnen wir mit Freude auf diese zehn Jahre zurьckschauen; denn die vereinigten Krдfte des jьdischen Volkes haben in Palдstina in diesen zehn Jahren ein schцnes Werk erfolgreicher Aufbauarbeit geleistet, wohl mehr, als wir damals zu hoffen gewagt haben.

Wir haben auch die schwere Prьfung erfolgreich ьberstanden, welche uns die Ereignisse der letzten Jahre auferlegt haben. Un≠ermьdliche Arbeit, die durch ein vornehmes Ziel getragen ist, fьhrt langsam aber sicher zum Erfolg. Die letzten ƒuяerungen der eng≠lischen Regierung bedeuten eine Rьckkehr zu einer gerechteren Wьr≠digung unserer Sache; dies erkennen wir dankbar an.

Aber wir dьrfen nimmer vergessen, was diese Krise uns gelehrt hat: Die Herstellung einer befriedigenden Kooperation der Juden und Araber ist nicht Englands Problem, sondern unser Problem. Wir, das heiяt die Juden und die Araber, mьssen uns selbst einigen ьber die den Bedьrfnissen beider Vцlker genьgenden Richtlinien fьr ein ersprieяliches Zusammenleben. Eine gerechte und beider Vцlker wьrdige Lцsung dieser Aufgabe bedeutet fьr uns ein nicht minder wichtiges und schцnes Ziel als die Fцrderung der Aufbauarbeit selbst. Denkt daran, daя die Schweiz eine hцhere Stufe staatlicher Entwicklung reprдsentiert als irgendein Nationalstaat, gerade we≠gen der grцяeren politischen Probleme, deren Lцsung die stabile Konstitution eines aus mehreren nationalen Gruppen gebildeten Gemeinwesens zur Voraussetzung hat!

Vieles ist noch zu tun, aber eines von dem, was Herzl ersehnte, ist bereits in Erfьllung gegangen: die Arbeit an Palдstina hat dem jьdischen Volk zu einer ungeahnten Solidaritдt verhelfen und zu jenem Optimismus, dessen jeder Organismus zu einem gesunden Leben bedarf. Das sieht heute jeder, der nur sehen will.

Was wir fьr das gemeinsame Werk tun, das leisten wir nicht nur fьr unsere Brьder in Palдstina, sondern fьr die Gesundheit und Wьrde des ganzen jьdischen Volkes.

{96}

2.

Wir sind heute versammelt, um der jahrtausendealten Gemein≠schaft zu gedenken, ihres Schicksals und ihrer Probleme. Es ist eine Gemeinschaft moralischer Tradition, die in den Zeiten der Not stets ihre Stдrke und Lebenskraft erwiesen hat. Aus ihr sind zu allen Zeiten Mдnner hervorgegangen, die das Gewissen der abendlдndi≠schen Welt verkцrpert haben, Verteidiger der Menschenwьrde und Gerechtigkeit.

Solange uns selbst diese Gemeinschaft am Herzen liegt, wird sie zum Heil der Menschheit fortbestehen, trotzdem sie nicht eine ge≠schlossene Organisation besitzt. Vor einigen Jahrzehnten haben ein≠sichtsvolle Mдnner, unter denen besonders der unvergeяliche Herzl hervorragt, den Gedanken gefaяt, daя wir eines geistigen Zentrums bedьrfen, um in den Zeiten der Bedrдngnis das Gefьhl der Soli≠daritдt aufrechtzuerhalten. So erwuchs der zionistische Gedanke und das Siedelungswerk in Palдstina, dessen erfolgreiche Realisie≠rung wir haben erleben dьrfen, wenigstens in ihren vielversprechen≠den Anfдngen.

Ich habe es mit Genugtuung und Freude erleben dьrfen, daя dies Werk viel zur Gesundung des jьdischen Volkes beigetragen hat, das als Minoritдt unter den Nationen nicht nur дuяeren Schwierigkeiten, sondern auch inneren, psychologisch begrьndeten Gefahren aus≠gesetzt ist.

Die Krise, welche das Aufbauwerk in den letzten Jahren zu be≠stehen hatte, lag schwer auf uns und ist auch jetzt noch nicht vцllig ьberwunden. Doch zeigen die letzten Nachrichten, daя die Welt und im besonderen die englische Regierung die hohen Werte anzuerken≠nen gewillt ist, die sich in unserem Streben um das zionistische Ziel auswirken. Wir wollen in diesem Augenblick dankbar unseres Fьh≠rers Weizmann gedenken, der mit so viel Hingabe und Umsicht der guten Sache zum Erfolg verhalf.

Das Schwere, das wir erlebten, hat auch wohltдtige Folgen mit sich gefьhrt. Es hat uns aufs neue gezeigt, wie stark das Schicksals≠band ist, das die Juden aller Lдnder verbindet. Die Krise hat aber auch unsere Einstellung zum Palдstinaproblem gelдutert, von den Schlacken einer nationalistischen Auffassung befreit. Klar wurde ausgesprochen, daя unser Ziel nicht die Schaffung einer politischen Gemeinschaft ist, sondern daя unser Ziel der alten Tradition der Judenheit entsprechend ein kulturelles ist, im weitesten Sinne des {97} Wortes.

Hierzu gehцrt es, daя wir das Problem des Zusammen≠lebens mit dem Brudervolk der Araber in einer noblen, offenen und wьrdigen Weise lцsen. Hier haben wir Gelegenheit, zu zeigen, was wir in den Jahrtausenden unserer schweren Vergangenheit gelernt haben. Wenn wir den rechten Weg gehen, werden wir Erfolg haben und den дndern Vцlkern ein schцnes Beispiel geben.

Was wir fьr Palдstina tun, das tun wir fьr die Wьrde und Gesun≠dung des ganzen jьdischen Volkes.

3.

Ich freue mich ьber die Gelegenheit, einige Worte an die den gemeinsamen Zielen der Judenheit treue Jugend dieses Landes zu richten. Laяt Euch nicht entmutigen durch die Schwierigkeiten, denen wir uns in Palдstina gegenьbergestellt sehen! Derartige Er≠lebnisse sind Prьfungen fьr den Lebenswillen unserer Gemeinschaft.

Es ist mit Recht an gewissen Maяnahmen und ƒuяerungen der englischen Verwaltung Kritik geьbt worden. Damit aber dьrfen wir uns nicht begnьgen, sondern wir mьssen aus den Ereignissen lernen.

Wir mьssen unseren Beziehungen zum arabischen Volke groяe Aufmerksamkeit schenken. Durch die Pflege dieser Beziehungen werden wir imstande sein, zu verhindern, daя sich in Zukunft derart gefдhrliche Spannungen heranbilden, die zur Provokation feind≠licher Akte miяbraucht werden kцnnen. Wir vermцgen dieses Ziel sehr wohl zu erreichen, weil unser Aufbauwerk so gefьhrt worden ist und gefьhrt werden muя, daя es auch den tatsдchlichen Inter≠essen der arabischen Bevцlkerung dient.

So werden wir erreichen kцnnen, daя wir nicht mehr so hдufig in die fьr Araber und Juden gleich unerfreuliche Lage kommen, die Mandatarmacht als Schiedsrichter anzurufen. Auf diese Weise folgen wir nicht nur einem Gebot der Klugheit, sondern auch unseren Tra≠ditionen, die der jьdischen Gemeinschaft ьberhaupt erst ihren Sinn und Halt geben. Denn diese Gemeinschaft ist keine politische und soll nie eine solche werden, sondern sie ruht ausschlieяlich auf einer moralischen Tradition; nur aus dieser kann sie dauernd neue Kraft schцpfen, und nur auf dieser beruht ihre Daseinsberechtigung.

4.

Seit zweitausend Jahren bestand das gemeinsame Gut des jь≠dischen Volkes nur in seiner Vergangenheit. Gemeinsam war {98}

unserem ьber die Welt zerstreuten Volk nichts als die sorgsam gehьtete Tradition.

Wohl haben einzelne Juden groяe Kulturwerte geschaffen, aber zu groяen Kollektivleistungen schien das jьdische Volk als Ganzes nicht mehr die Kraft zu haben.

Dies ist nun anders geworden. Die Geschichte hat uns eine groяe und edle Aufgabe zugewiesen in Gestalt der tдtigen Mitarbeit am Aufbau Palдstinas. Hervorragende Stammesgenossen arbeiten be≠reits mit allen Krдften an der Verwirklichung dieses Zieles. Es ist uns Gelegenheit dazu geboten, Kulturstдtten zu errichten, die das ganze jьdische Volk als sein Werk betrachten kann.

Wir hegen die Hoffnung, in Palдstina eine Heimstдtte eigener nationaler Kultur zu schaffen, die dazu beitragen soll, den nahen Orient zu neuem wirtschaftlichem und geistigem Leben zu wecken.

 

Das Ziel, das den Fьhrern des Zionismus vorschwebt, ist kein politisches, sondern ein soziales und kulturelles. Das Gemeinwesen in Palдstina soll sich dem sozialen Ideal unserer Vorfahren nдhern, so wie es in der Bibel niedergelegt ist, und gleichzeitig eine Stдtte modernen geistigen Lebens werden, ein geistiges Zentrum fьr die Juden der ganzen Welt. Dieser Auffassung entsprechend bildet die Errichtung einer jьdischen Universitдt in Jerusalem eines der wich≠tigsten Ziele der zionistischen Organisation.

Ich bin in den letzten Monaten in Amerika gewesen, um dort die materielle Basis fьr diese Universitдt schaffen zu helfen. Der Erfolg dieser Bestrebung war ein natьrlicher.

Dank der unermьdlichen Tд≠tigkeit und der hervorragenden Opferwilligkeit der jьdischen ƒrzte in Amerika ist es uns gelungen, genьgend Mittel fьr die Schaffung einer medizinischen Fakultдt zusammenzubringen, und es wird mit den vorbereitenden Arbeiten zur Realisierung derselben sofort be≠gonnen. Nach den bisherigen Erfolgen hege ich keine Zweifel, daя sich die materielle Basis fьr die ьbrigen Fakultдten in kurzer Zeit wird schaffen lassen. Die medizinische Fakultдt soll zunдchst im wesentlichen als Forschungsinstitut auggebildet werden und im Dienst der fьr den Aufbau besonders wichtigen Sanierung des Landes tдtig sind. Der Unterricht im grцяeren Stil wird erst spдter von Wichtig≠keit werden. Da eine Reihe tьchtiger Forscher sich bereits gefunden hat, die einem Ruf an die Universitдt zu folgen bereit sind, erscheint die Errichtung einer medizinischen Fakultдt als vollkommen ge≠sichert. Ich bemerke noch, daя fьr die Universitдt ein besonderer Fonds gegrьndet worden ist, der vom allgemeinen Fonds fьr den Aufbau des Landes vollkommen getrennt ist.

Fьr den letzteren sind {99} in diesen Monaten dank der unermьdlichen Arbeit Professor Weizmanns und anderer zionistischer Fьhrer in Amerika bedeutende Summen zusammengebracht worden, insbesondere vermцge der gro≠яen Opferwilligkeit des Mittelstandes.

 

Ich schlieяe mit einem war≠men Appell an die Juden Deutschlands, trotz der gegenwдrtigen schweren wirtschaftlichen Situation nach besten Krдften fьr den Aufbau der jьdischen Heimstдtte in Palдstina beizutragen. Es han≠delt sich nicht um einen Akt der Wohltдtigkeit, sondern um eine alle Juden angehende Unternehmung, deren Gelingen fьr alle eine Quelle edelster Befriedigung zu werden verspricht.

5.

Palдstina ist fьr uns Juden keine bloяe Wohltдtigkeits- oder Kolonialangelegenheit, sondern ein Problem von zentraler Wichtig≠keit fьr das jьdische Volk. Palдstina ist in erster Linie nicht ein Refugium fьr Ostjuden, sondern die Verkцrperung des wiedererwachen≠den nationalen Gemeinschaftsgefьhls aller Juden. Ist es zeitgemдя und notwendig, dies Gemeinschaftsgefьhl zu erwecken und zu stдr≠ken? Auf diese Frage glaube ich nicht nur aus einem spontanen Gefьhl heraus, sondern aus Vernunftgrьnden mit einem unbeding≠ten ДJa" antworten zu mьssen.

 

Lassen Sie uns einen kurzen Blick werfen auf die Entwicklung der deutschen Juden in den letzten hundert Jahren!

 

Vor einem Jahrhundert noch lebten unsere Vorfahren mit wenigen Ausnahmen im Getto. Sie waren arm und politisch entrechtet, von den Nicht≠juden durch einen Wall von religiцsen Traditionen, weltlichen Le≠bensformen und gesetzlichen Beschrдnkungen getrennt. In ihrer geistigen Entwicklung waren sie auf ihre eigene Literatur beschrдnkt. Sie wurden relativ nur schwach beeinfluяt durch den gewaltigen Aufschwung, den das europдische Geistesleben seit der Renaissance erfahren hatte. Aber eines hatten diese wenig beachteten, beschei≠den lebenden Menschen vor uns voraus: Jeder von ihnen gehцrte mit allen Fasern seines Herzens einer Gemeinschaft an, in der er ganz aufging und in der er sich als vollwertiges Glied fьhlte Ч einer Gemeinschaft, die nichts von ihm forderte, was seiner natьrlichen Denkweise widerstrebte. Unsere damaligen Vorfahren waren geistig und kцrperlich ziemlich verkьmmert, aber in sozialer Beziehung in einem beneidenswerten seelischen Gleichgewicht.

 

Dann kam die Emanzipation. Sie bot dem Individuum plцtzlich {100} ungeahnte Entwicklungsmцglichkeiten. Die einzelnen Individuen er≠langten rasch Stellungen in hцheren wirtschaftlichen und sozialen Schichten der Gesellschaft. Sie sogen gierig die herrlichen Errungen≠schaften in sich auf, die Kunst und Wissenschaft des Abendlandes geschaffen hatten. Sie beteiligten sich mit glьhender Leidenschaft an dieser Entwicklung, indem sie selbst bleibende Werte schufen. Dabei nahmen sie die дuяeren Daseinsformen der nichtjьdischen Welt an und wandten sich in steigendem Maя von ihren religiцsen und sozia≠len №berlieferungen ab, indem sie nichtjьdische Sitten, Formen und Denkweisen annahmen. Es schien, als lцsten sie sich restlos in den zahlenmдяig weit ьberlegenen, politisch und kulturell hцher organi≠sierten Wirtsvцlkern auf, so daя nach einigen Generationen nichts Sichtbares von ihnen ьbriggeblieben wдre. Eine vollstдndige Auf≠lцsung des jьdischen Volkstums in Mittel- und Westeuropa schien unvermeidlich.

 

Es kam aber anders. Es scheint Instinkte rassenhaft verschiede≠ner Nationalitдten zu geben, die einer Vermischung entgegenwirken. Die Anpassung der Juden an die europдischen Vцlker, unter denen sie leben, in Sprache, Sitte, ja zum Teil sogar in den religiцsen For≠men, konnte nicht jenes Fremdheitsgefьhl auslцschen, das zwischen den Juden und ihren europдischen Wirtsvцlkern besteht. Auf dieses spontane Gefьhl der Fremdheit ist in letzter Instanz der Antisemi≠tismus zurьckzufьhren. Dieser ist deshalb auch nicht durch wohl≠gemeinte Traktate aus der Welt zu schaffen. Die Nationalitдten wollen nicht vermischt sein, sondern ihren eigenen Weg gehen. Ein befriedigender Zustand ist nur dadurch herbeizufьhren, daя sie sich gegenseitig dulden und achten.

Dazu gehцrt vor allem, daя wir Juden uns unserer Existenz als Nationalitдt wieder bewuяt werden und daя wir diejenige Selbst≠achtung wieder erwerben, die wir zu einer gedeihlichen Existenz brauchen. Wir mьssen wieder lernen, uns freudig zu unseren Vor≠fahren und zu unserer Geschichte zu bekennen, und wir mьssen als Volk wieder Kulturaufgaben auf uns nehmen, die geeignet sind, unser Gemeinschaftsgefьhl zu stдrken. Es genьgt nicht, daя wir uns als Individuum an der kulturellen Entwicklung der Menschheit be≠teiligen, wir mьssen auch solche Aufgaben in Angriff nehmen, die nur nationale Gesamtheiten zu lцsen imstande sind. Nur so kann das Judentum wieder sozial gesunden.

 

Von diesem Standpunkt aus bitte ich Sie, die zionistische Bewe≠gung anzusehen. Die Geschichte hat uns heute die Aufgabe

{101}zugewiesen, am wirtschaftlichen und kulturellen Aufbau unseres Stammlandes tдtig mitzuwirken. Begeisterte und hochbegabte Mдnner haben die Arbeit vorbereitet, und viele vortreffliche Stammesgenos≠sen sind bereit, sich ihr voll und ganz zu widmen. Mцchte jeder von Ihnen die Wichtigkeit dieses Werkes voll wьrdigen und nach Krдften zu dessen Gelingen beitragen!

 

ARBEITENDES PALƒSTINA

 

unter den zionistischen Organisationen ist das ДArbeitende Pa≠lдstina" jene, deren Wirken am unmittelbarsten der wertvollsten Schicht der dortigen Menschen zugute kommt, nдmlich denjenigen, die mit ihrer Hдnde Werk Einцden in blьhende Siedlungen ver≠wandeln. Diese Arbeiter sind eine Auslese auf der Basis der Frei≠willigkeit aus dem ganzen jьdischen Volk, eine Elite, die aus starken, bewuяten und uneigennьtzigen Menschen besteht. Es sind nicht un≠gebildete Handarbeiter, die ihrer Hдnde Arbeit an den Meistbieten≠den verkaufen, sondern gebildete, geistig regsame, freie Menschen, deren friedlicher Kampf mit einer vernachlдssigten Erde dem ganzen jьdischen Volk zugute kommt, teils direkt, teils indirekt. Ihr schwe≠res Los nach Mцglichkeit erleichtern, bedeutet Rettung wertvollster Menschenleben; denn das Ringen der ersten Siedler auf noch nicht saniertem Boden ist ein hartes, gefдhrliches Beginnen und ein schweres persцnliches Opfer. Wie wahr dies ist, kann nur derjenige beurteilen, der es mit eigenen Augen gesehen hat. Wer dazu hilft. die Ausrьstung dieser Menschen zu verbessern, fцrdert das Werk an wirksamer Stelle.

Diese Arbeiterschicht ist es auch, die allein in der Lage ist, gesunde Beziehungen zum arabischen Volk zu schaffen, der wichtigsten poli≠tischen Aufgabe des Zionismus. Denn Verwaltungen kommen und gehen; die menschlichen Beziehungen aber geben im Vцlkerleben schlieяlich den Ausschlag. Deshalb bedeutet eine Stьtzung des ДAr≠beitenden Palдstina" zugleich die Fцrderung einer menschlichen und wьrdigen Politik in Palдstina, eine wirksame Bekдmpfung jener engherzig nationalistischen Unterstrцmungen, an denen die politische Welt im allgemeinen, so auch in abgeschwдchtem Maя die kleine politische Welt des Palдstina-Werkes heute zu leiden hat.

{102}

 

J№DISCHE GESUNDUNG

Ein Appell fьr ДKeren Hajessod"

 

Die grцяten Feinde jьdischen Volksbewuяtseins und jьdischer Wьrde sind fette Degeneration, d. h. aus Reichtum und Wohlleben hervorgegangene Gesinnungslosigkeit sowie eine Art innerer Ab≠hдngigkeit von der nichtjьdischen Umwelt, die aus der Lockerung der jьdischen Gemeinschaft erwдchst. Das Beste im Menschen kann nur gedeihen, wenn er in einer Gemeinschaft aufgeht; wie groя ist also die moralische Gefдhrdung des jьdischen Menschen, der den Zusammenhang mit dem eigenen Volkskцrper verloren hat und vom Wirtsvolk als Fremder angesehen wird! Oft genug ist schnцder, freudloser Egoismus aus solcher Situation erwachsen.

Besonders groя ist gegenwдrtig der дuяere Druck, der auf dem jьdischen Volk lastet. Aber gerade diese Not ist uns heilsam ge≠wesen. Eine Erneuerung jьdischen Gemeinschaftslebens hat einge≠setzt, von der sich die vorletzte Generation nichts hдtte trдumen lassen. Unter der Wirkung neu erwachten jьdischen Solidaritдts-Gefьhls ist die von hingebenden und umsichtigen Fьhrern unter un≠ьberwindlich scheinenden Schwierigkeiten ins Werk gesetzte Kolo≠nisation Palдstinas bereits zu so schцnen Erfolgen gediehen, daя ich nicht an einem dauernden Erfolg zweifle. Der Wert dieses Werkes fьr die Juden der ganzen Welt ist ein hoher. Palдstina wird eine Kulturstдtte fьr alle Juden sein, eine Zuflucht fьr die Bedrдng≠testen, ein Feld der Betдtigung fьr die Besten unter uns, ein eini≠gendes Ideal und ein Mittel der inneren Gesundung fьr die Juden der ganzen Welt.

 


{104}

№BER DIE NOTWENDIGKEIT DES ZIONISMUS

Brief an Staatsminister Prof. Dr. Hellpach

 

Ich habe Ihren Artikel ьber den Zionismus und die Tagung in Zьrich gelesen und fьhle das Bedьrfnis, Ihnen, wenn auch nur kurz, zu antworten als einer, welcher der Idee des Zionismus sehr er≠geben ist.

 

Die Juden sind eine Bluts- und Traditionsgemeinschaft, bei der die Religion keineswegs das einzige Bindende ist. Dies beweist schon die Haltung der ьbrigen Menschen gegen die Juden. Als ich vor fьnf≠zehn Jahren nach Deutschland kam, entdeckte ich erst, daя ich Jude sei, und diese Entdeckung wurde mehr durch Nichtjuden als durch Juden vermittelt.

 

Die Tragik der Juden liegt darin, daя sie Menschen eines gewissen Entwicklungstypus sind, denen die Stьtze einer sie verbindenden Gemeinschaft fehlt. Unsicherheit der Individuen, die sich bis zur moralischen Haltlosigkeit steigern kann, ist die Folge. Ich erkannte, daя eine Gesundung dieses Volkes nur mцglich war dadurch, daя alle Juden der Erde zu einer lebendigen Gemeinschaft verbunden wurden, welcher der einzelne freudig angehцrt und die ihm den Haя und die Zurьcksetzung ertrдglich macht, die er von anderer Seite ьberall zu erdulden hat.

Ich sah die wьrdelose Mimikry wertvoller Juden, daя mir das Herz bei diesem Anblick blutete. Ich sah, wie Schule, Witzblдtter und unzдhlige kulturelle Faktoren der nichtjьdischen Mehrheit das Selbstgefьhl auch der Besten meiner Stammesgenossen untergruben, und fьhlte, daя es so nicht weitergehen dьrfe.

Da erkannte ich, daя nur ein gemeinsames Werk, das allen Juden der Welt am Herzen lдge, dies Volk gesunden lassen konnte. Es war eine groяe Tat von Herzl, daя er erkannte und mit aller Energie darauf hinwies, daя bei der vorhandenen traditionellen Einstellung der Juden die Errichtung einer Heimstдtte oderЧsachlich richtiger ausgedrьcktЧZentralstelle in Palдstina das Werk war, auf das man die Krдfte konzentrieren konnte.

 

Sie nennen das alles NationalismusЧund nicht ganz mit Unrecht. Aber ein Gemeinschaftsstreben, ohne das wir in dieser feindlichen Welt nicht leben und nicht sterben kцnnen, kann immer mit diesem hдяlichen Namen bezeichnet worden. Jedenfalls ist ein Nationalis≠mus, der nicht nach Macht, sondern nach Wьrde und Gesundung† {105} strebt. Wenn wir nicht unter intoleranten, engherzigen und gewalt≠tдtigen Menschen leben mьяten, wдre ich der erste, der jeden Natio≠nalismus zugunsten des universalen Menschentums verwerfen wьrde!

 

Der Vorwurf, daя wir Juden keine ordentlichen Staatsbьrger z. B. des deutschen Staates sein kцnnten, wenn wir eine ДNation" sein wollten, entspricht einer Verkennung der Natur des Staates, der aus der Intoleranz der nationalen Mehrheit entspringt. Vor dieser In≠toleranz werden wir nie geschьtzt sein, ob wir uns ДVolk" bzw. ДNation" nennen oder nicht.

 

Dies habe ich alles, um kurz zu sein, so nackt und brutal hinge≠stellt; aber ich kenne Sie aus Ihren Schriften als einen, der nicht auf die Form, sondern auf den Sinn achtet. ...У

 

 

Zusдtzliche, empfohlene Lektьre zum Thema, z. B.:

 

Leon Pinsker† (1821Ч1891) ДAutoemanzipationУ

††

Irene Harand†† ДSein Kampf - Antwort an HitlerУ

Wien 1935

 

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