Januar 2003

 

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Aus Webseite - http://www.ev-stift-gymn.guetersloh.de/sterbehilfe/moses.html††††† (05.04.1997)

Julius Moses, Der Kampf gegen das "Dritte Reich" - ein Kampf fьr die Volksgesundheit!

Gegenposition zur NS-Radikalisierung in: Der Wert des Menschen. Medizin in Deutschland 1918-1945, Herausgegeben von der ƒrztekammer Berlin in Zusammenarbeit mit der Bundesдrztekammer, Berlin 1989, S. 226-229

Hervorhebungen stammen von Moses

Ein nationalsozialistischer Schriftsteller, Ernst Mann, hat ein Buch geschrieben "Vom Eliteheer zum Schwertadel", in dem die Aufgaben des Arztes im "Dritten Reich" mit der wьnschenswerten Klarheit dargestellt werden. Danach ist der Arzt dazu berufen, unter dem Schutz des Kriegers an der "Neugestaltung eines edlen Menschentums" zu wirken. Was ist nun dieses "edle Menschentum", in dessen Dienst sich die ƒrzte stellen sollen? Es ist nicht das von Lessing, Goethe, Herder und anderen "minderwertigen" deutschen Dichtern und Denkern gepriesene Humanitдtsideal, das dem deutschen Volke Achtung und Wertschдtzung in der gesamten Kulturwelt verschafft hat. Nein, was Mann und seine nationalsozialistischen Kollegen verkьnden, ist die Anpreisung der barbarischen Ausrottungsmethoden, des primitivsten Vernichtungsinstinktes.... "ьberall versuchend, zu helfen und zu heilen, selbst dort, wo nichts mehr zu heilen ist, verloren die ƒrzte das hohe Gefьhl fьr die Bedeutung ihres Berufes." Was ist aber nun die "hohe Bedeutung des дrztlichen Berufes"? "Verdoppelung der Volkszahl der Gesunden ist binnen 25 Jahren unter der Voraussetzung mцglich, daя der gesunde Volkskern von den kranken, belastenden Elementen befreit wird. Der Vernichtung der Ballastexistenzen stehen heutzutage keinerlei technische Schwierigkeiten, aber immer noch moralische entgegen.Es ist zwar dem Arzte gestattet, jegliche Operationen am Einzelmenschen vorzunehmen, doch wird er durch Gesetzgebung verhindert, chronische Seuchenherde im Volke durch Vernichtung der Seuchentrдger zu zerstцren und durch Vernichtung der minderwertigen №berwucherung der gesunden Volksbestandteile zu beseitigen. Solche chirurgischen Eingriffe in das Volksganze sind dringende Forderungen der Zeit. Wir dьrfen die Vernichtung lebensunwerten Lebens nicht der nдchsten Generation zuschieben ..."

Der Arzt als Vernichter, der Arzt als Mцrder!! "Nicht Erhцher, Zerstцrer der Volkskraft sind jene ƒrzte zu nennen, die nichts besseres wisssen, als jeglichen Menschenschund am Leben zu erhalten. Je mehr sich die ƒrzteschaft der aristokratischen Sendung bewuяt wird, um so mehr wird sie sich auf die Heilung der Heilbaren beschrдnken, um so unerbittlicher an der Ausmerzung der Unheilbaren, Belastenden, Unproduktiven arbeiten".

Im nationalsozialistischen "Dritten Reich" hдtte also der Arzt folgende Sendung, um ein "neues, edles Menschentum" zu schaffen: Geheilt werden nur die Heilbaren! Die unheilbaren Kranken aber sind "Ballastexistenzen", "Menschenschund", "lebensunwert" und "unproduktiv". Sie mьssen zerstцrt und vernichtet werden. - Und der Arzt ist es, der diese Vernichtung durchzufьhren hat. Er soll also mit einem Wort zum Henker werden!

Auf diese einfache und feinkultivierte Weise lцst man im "Dritten Reiche" die schwierigsten, sozialen, sozialhygienischen und ethischen Probleme: Wer unheilbar krank ist, der wird getцtet. Die Tцtung hat der Arzt durchzufьhren! Wir wissen, daя solche Methoden im alten Sparta ьblich waren, zu einer Zeit, als die medizinische Wissenschaft noch gar nicht geboren war; wir wissen, daя sie noch bei gewissen Negerstдmmen in Zentralafrika und in der Sьdsee sowie in manchen Gebieten in Asien ьblich sind, Schrecken und Abscheu aller Reiseromane und Reiseberichte. Des Nationalsozialismus bedurfte es, um mit kaltschnдuzigem Zynismus solche Plдne im noch kultivierten Deutschland zu publizieren und ein solches Henkertum als "Sendung des Arztes"; als "neues, edles Menschentum" auszugeben.

Die unheilbar Kranken sind fьr Herrn Mann "Ballastexistenzen"! Ballastexistenzen sind also die tausende Kriegsverletzte, Kriegsblinde und Kriegsverstьmmelte! Ballastexistenzen sind die tausende und aber tausende unheilbar Tulberkulosekranke, die durch Schuld der Gesellschaft die Krankheit geerbt oder sich geholt haben, weil ihnen menschenwьrdige Lebensmцglichkeiten fehlen! Ballastexistenzen sind Tausende in Betrieben, Bergwerken, im Verkehrswesen, in Fabriken usw. unfallverletzte oder mit Berufskankheiten infizierte Arbeiter, die von einer Gesundung ausgeschlossen sind. Ballastexistenzen sind alle Krebskranken, sind durch Geburten unheilbar erkrankte Mьtter, Ballastexistenzen sind alle Greise und Greisinnen, die nicht mehr "produktiv" sein kцnnen. All das ist "Menschenschund" und muя vom Arzt getцtet werden!

Das ist das "edle Menschentum" nationalsozialistischen Geprдges! Keinem dieser Heilsapostel, die die Barbarei und den Mord predigen, fдllt es ein, daя der Arzt sich ja selbst erledigt, wenn er sich auch nur theoretisch und in Diskussionen in die Reihen der Henker stellt. Die soziale Frage wдre dann einfach gelцst: Was lebensunwert ist, also unheilbar krank, wird vernichtet! Vernichtet wird der unheilbar Kriegsbeschдdigte als Dank des Vaterlandes, fьr das er seine Gesundheit opferte, der unheilbar kranke oder verletzte Arbeiter als Dank der Gesellschaft, fьr die er seine Arbeitskraft hingab, der greise Mensch, als Abschluя des Lebens. Geopfert wird der Krebskranke, der Geistesgestцrte... Sie alle sind Opfer der menschlichen Gesellschaft ... Und diese soll sie tцten! Wir brauchen keine Gesellschaften mehr zur Bekдmpfung der Tuberkulose, des Krebses und der Geschlechtskrankheiten! Die Wissenschaft muя sich nicht mehr anstrengen, um in die Geheimnisse der als unheilbar geltenden Krankheiten einzudringen und muя sie nicht mehr zu heilbaren umzugestalten trachten. Wir brauchen keinen kulturellen Fortschritt! Wozu auch das alles? Diese Kranken werden einfach getцtet. Der Arzt muя seinen Kopf nicht mehr fьr die Wissenschaft freihalten, er hat ja jetzt ein anderes Mittel, um das Ziel zu erreichen: Er tцtet die unheilbar Kranken! Auch die Pharmakologie wird ьberflьssig!

Der gleiche Ernst Mann hatte in einer anderen Schrift " Die Moral der Kraft" geschrieben: "Der Staat sorgt streng fьr die Vernichtung aller Schwдchlinge und Krдnklinge. Auf jдhrlichen Kontrollversammlungen ist der Gesundheitszustand des ganzen Volkes durch die besten ƒrzte zu prьfen. Die Kranken, Schwachen sind auszuschalten und zu vernichten."

Es ist Irrsinn! Aber beruht nicht die ganze Rassetheorie der Nationalsozialisten auf diesem Irrsinn? Wenn Mann schreibt: "Ohne ihre Taten in der ÷ffentlichkeit bekanntzugeben, mьяten die Schwerverbrecher mцglichst schnell und unauffдllig vernichtet werden", so entspricht das ganz seiner Einstellung zu den unheilbaren Kranken. Von der modernen Soziologie, von den Zusammenhдngen zwischen Umwelt und Krankheit, Umwelt und Kriminalitдt, von der sozialen Schuld der Gesellschaft haben solche Ignoranten keine Ahnung. Mit Tod und Zuchthaus behandeln sie viel einfacher die Opfer! Bei allen diesen Dingen geht es um die Ethik des ƒrztestandes. Man darf sich nicht damit beruhigen, daя man sagt: "Ach, das sind phantastische Tollheiten, die nie verwirklicht werden": Nein, diese Erцrterungen an sich sind schon gefдhrlich; gдbe es einen wirklichen Feind der ƒrzteschaft, der sie an der Lebenswurzel treffen will, er mьяte solche und дhnliche in nationalsozialistischen Vortrдgen und " Rasse"-Broschьren auch von ƒrzten verbreitete Theorien breiten Volkskreisen zugдnglich machen. Alles, was bisher als дrztliche Ethik galt, den idealen Lebenszweck des Arztes bildete: Helfen, helfen und wieder helfen, gleichgьltig, ob der Kranke dieser oder jener Rasse angehцrt, gleichgьltig, ob er arm oder reich ist, an dieser oder jener Krankheit leidet .... forschen und immer wieder forschen, um die heute noch als unheilbar geltenden Krankheiten zum Wohle der Menschheit heilen zu kцnnen,.... all das soll nicht mehr gelten! Die дrztlichen Ethiker, die sich in einer langen Lebensarbeit mit den Aufgaben des medizinischen Berufes auseinandergesetzt haben, Moll, Abderhalden u. a. sind fьr die Nationalsozialisten wahrscheinlich Toren! Bei den Nationalsozialisten gibt es ja keine solche Probleme mehr: Unheilbar krank sein, heiяt Verbrecher sein. Statt des Wortes " Heilung" wird das Wort "Tцtung" eingesetzt und alles ist gelцst und in Ordnung. ....

Die ƒrzte merken gar nicht, welche drohende Gewitterwolken sich im Hintergrunde auftьrmen. Selbst wenn man annimmt, daя die geschilderten tolldreisten Theorien nie verwirklicht werden, so bleibt doch etwas ьbrig: Gift, das langsam und systematisch manchen ƒrzten eingetrдufelt wird, das sie irre werden lдяt an ihrer Sendung, daя sie zu einer barbarischen und unmoralischen Auffassung ihrer Berufsexistenz veranlaяt und das sich naturgemдя auch im persцnlichen Verhдltnis zu den Kranken auswirken muя. Nicht zum Vorteil der ƒrzteschaft und der Volksgesundheit.

Die №bersteigerung der unklaren Rassetheorien muя zu Konsequenzen fьhren, wie sie Ernst Mann in aller Offenherzigkeit dargelegt hat. Der berьchtigte nationalsozialistische Gesetzentwurf "zum Schutz der deutschen Nation" will "rassische Verschlechterung" des deutschen Volkes, d. h. Vermischung mit Angehцhrigen jьdischer Blutsgemeinschaft" mit Zuchthaus, ja sogar mit dem Tode bestrafen. Stдmmler will fьr unheilbar Kranke ein Ausnahmerecht schaffen: "Sie sollen zwar die Familienlasten zu tragen haben, irgendwelche Beihilfen aber nicht erhalten und nicht gefцrdert werden." Der Weg fьhrt direkt zu Mann.


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Kommentar zu Julius Moses

Der Arzt Dr. Julius Moses, 1868 in Posen geboren, 1942 in Theresienstadt ermordet, gehцrt zu der groяen Zahl deutscher Juden, deren Leben und Handeln die meisten Deutschen nach dem Holocaust aus ihrem Gedдchtnis getilgt haben. Neben der Erinnerung an sein berufliches und politisches Wirken, ist zu erwдhnen, daя er sich auch als Vertreter der jьdischen Emanzipationsbewegung hervorgetan hat. Nachdem er zunдchst Mitglied der USPD gewesen war, gehцrte er von 1920 bis 1932 der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion an, in der er als der fьhrende Gesundheitspolitiker wirkte. Seit 1922 war er Mitglied des SPD-Parteivorstandes. Moses arbeitete als praktischer Arzt in Berlin, war Vorsitzender des "Vereins Berliner Kassenдrzte" und gab die Zeitschrift "Der Kassenarzt" heraus, der der obige Text entnommen ist.

Im Jahre 1913 lцste er die "Gebдrstreik-Debatte" innerhalb der deutschen Sozialdemokratie aus, bei der Klara Zetkin und Rosa Luxemburg als seine entschiedenen Gegnerinnen auftraten. Er forderte das Proletariat wegen dessen цkonomischer und sozialer Notlage zur Geburtenbeschrдnkung auf. Klara Zetkin wandte dagegen ein, ein solches Vorgehen entzцge nicht nur dem Militarismus Soldaten, sondern diese auch der Armee der Klassenkдmpfer.

Fьr unser Thema bedeutsamer ist das Handeln Julius Moses' in einem anderen Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik. In den harten Auseinandersetzungen um den Ї 218 (!?- so im Original , ldn-knigi) kдmpfte er mit um dessen Abschaffung. Er formulierte auch Positionen innerhalb der Tradition der Sozialhygiene und wandte sich dagegen, daя sie der Eugenik dienstbar gemacht werde. Er kritisierte hellsichtig das vorgehen der Eugeniker, das wir auch in der heutigen Auseinandersetzung finden. Der Historiker Daniel S. Nadav zitiert Moses mit einer ƒuяerung aus dem Jahr 1928: "Die Vertreter der Eugenik sind heute hauptsдchlich Mдnner, die politisch reaktionдr eingestellt sind. Das muя in Bezug auf die ganze Propaganda fьr die Eugenik stutzig machen. Es scheint, daя gewisse Eugeniker die Sterilisation benutzen wollen, um eine biologische Abbiegung der sozialen Verhдltnisse zu erreichen." (Nadav, 150)

Ein weiterer ebenfalls aus dem 1928 stammender Gedanke Moses' sei hier zitiert, der verdeutlicht, daя im Forderungs- und Begrьndungskatalog der Eugenik Traditionen enthalten sind, die gerade heute unsere Wachsamkeit verlangen. An ihnen wird vor allen Dingen deutlich, daя es nicht erst der nationalsozialistischen Radikalisierung durch Worte und Taten, also durch Propaganda und Ermordung, bedurfte, um sich der Gefдhrlichkeit dieser Denkweisen bewuяtzuwerden. In den zwanziger Jahren war im US-Bundesstaat Virginia ein Gesetz zur Unfruchtbarmachung geistig Kranker verabschiedet worden. Moses wendet sich auch gegen vergleichbare Initiativen in Deutschland, "denn weit unsicherer noch als der medizinische Begriff der Unheilbarkeit ist der ethische der Unverbesserlichkeit. Die menschliche Psyche untersteht nicht den Gesetzen verstandeseingeengter Logik." Sie sei auch ein "Produkt ihres Milieus im schlechten wie im guten Sinne" und kцnne auch "durch Verpflanzung in geregelte Lebensverhдltnisse wieder auf den rechten Weg geleitet werden". (Nadav, 151)

Literatur zu Julius Moses:

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