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Bemerkungen-(ldn-knigi.narod.ru)

Leon Pinsker

 

 

AUTOEMANZIPATION

 

Sechste Auflage

 

Jьdischer Verlag Berlin

 

 

 

 

Mahnruf an seine Stammesgenossen

von einem russischen Juden

 

 

Mit einer Vorbemerkung von Achad Haam

 

 

 

 

 

 

ДWenn ich selbst

mir nicht helfe,

wer denn?

und wenn nicht heute,

wann denn?У

 

HILLEL

 

 

 

 

 

 

 

 

Erste Auflage im Jahre 1882... Sechste Auflage Ende 1933

 

Gedruckt bei Jul. Kittls Nachf., Keller & Co. / Mдhrisch-Ostrau

 


{3}

 

 

ACHADHAAM

 

 

EIN STOLZER JUDE

 

†††††††††††

††††††††††† Der Grundzug von Pinskers nationalem Bewuяtsein ist ein ungewцhnlich tiefes Gefьhl fьr die nationale Wьrde, oder, wie er es selbst nennt, fьr nationale Selbstwьrde.

††††††††††† Pinsker sieht in der Idee der Autoemanzipation vor allem nicht die Er≠rettung von дuяeren Verfolgungen, sondern die Wiederherstellung der nationalen Ehre und die "Wiedergeburt des Gefьhls der Eigenwьrde in uns. Daя die Anderen uns verfolgen und verachten Ч das ist wohl sehr traurig. Noch trauriger ist es aber, daя wir selbst als Volk auf das Verhalten der Umgebung zu uns auf unwьrdige Art reagieren und durch unser Verhalten die Verachtung der Anderen gewissermaяen rechtfertigen. Die pathetischesten Blдtter in der Pinskerschen Schrift sind gerade dieser inneren Seite unseres nationalen Problems gewidmet. Dort erhebt er sich oft bis zur Hцhe prophetenhaften Zornes, in dem die Tragik des stolzen Sohnes eines Volkes widerhallt, das seinen Stolz verloren hat.

††††††††††† Pinsker kann sich nicht mit jener demьtigenden Ergebenheit abfinden, mit der sein Volk die empцrendsten Beleidigungen hinnimmt. Ein stolzes Volk, so schwach es auch sein mцge, kann in solchen Fдllen nicht anders, als die Empцrung seiner verletzten Seele auf die oder jene Weise zu дuяern. Nicht weniger lehnt sich Pinsker gegen unser wьrdeloses Verhal≠ten gegenьber unseren Gцnnern auf, gegen jenen Mangel der Selbstwьrde, den wir angesichts des leisesten herablassenden Lдchelns von selten der Anderen verraten. ї...

Sagt man einem Juden, er mache seinem Volke Ehre, so ist dieses Volk tцricht genug, darauf stolz zu sein. So weit sind wir gesunken, daя wir fast ьbermьtig werden vor Freude, wenn, wie im Okzident, ein geringer Bruchteil unseres Volkes mit den Nichtjuden gleichgestellt worden istЂ. Die angefьhrten Worte zeigen bereits, wie Pinsker das їgroяe IdealЂ der Emanzipation beurteilt, das in gewissen Kreisen der Judenheit jetzt noch beinahe als Endzweck im Dasein unseres Volkes erscheint.

Er sieht in dem Akt der Emanzipation selbst nichts als den Ausdruck tiefster nationaler Demьtigung, die die Juden errцten lassen mьяte, wenn sie nicht aller nationalen Selbst≠wьrde bar wдren. Bedьrfe doch kein anderes Volk der Emanzipation. Fьr alle bestehe die allgemeine Gesetzgebung.

††††††††††† №berhaupt erlebt Pinsker unser ganzes Dasein in der Diaspora mit oder ohne Emanzipation als eine einzige ununterbrochene Entwьrdigung. Die physischen Leiden des Volkes treten zurьck gegenьber jener bren≠nenden Seelenpein, die ihm diese Demьtigung verursacht.

{4}†††††† An und fьr sich wьrde die Verachtung von selten der Umgebung ihm durchaus nicht so unertrдglich erscheinen, wenn er gleich vielen Anderen sich bei der Auffassung beruhigen kцnnte, daя sie weiter nichts wдre, als die Frucht jahrhundertelanger Vorurteile, der Unwissenheit usw.

Sein stolzer Sinn wьrde dann diese Verachtung einfach verachten.

 

Aber leider kann er nicht verkennen, daя das Benehmen seines Volkes nicht die allerletzte Ursache eines solchen Verhaltens ihm gegenьber ist.

††††††††††† їVerдchtlich seid ihr, weil ihr keine wahre Eigenliebe und kein natio≠nales Selbstgefьhl habt. Nationales Selbstgefьhl! Wo dieses hernehmen? Das ist ja das groяe Unglьck unseres Stammes, daя wir keine Nation ausmachen, daя wir bloя Juden sind. Eine ьber den ganzen Erdboden verstreute Herde sind wir.Ђ

††††††††††† їHerdeЂ. In diesem einen Wort scheint Pinsker alle jene bitteren Wahr≠heiten zusammenzufassen, die er ьber die Seelenverfassung der Juden aus≠spricht. Eine Herde denkt weder an ihre Wьrde, noch an ihre Zukunft, denkt ьberhaupt an nichts, auяer an die unmittelbare Gefahr, der sie irgendwie zu entrinnen sucht, gleichviel auf welche Weise, ob der ganze Haufe zusammen, oder jeder fьr sich.

 

††††††††††† So wurde Pinsker von L. Gordon in seinem ihm gewidmeten Gedicht їDie Herde GottesЂ (Eder Adonai) verstanden. Jedoch hatte Gordons Dichtersinn nicht vermocht, diese Schmach des Herdenvolkes in einer groяen Schцpfung zu brandmarken. Dies vollbrachte ein anderer, reicher begnadeter Dichter, Bialik, in seinen unsterblichen їLiedern des ZornesЂ.

Welcher Jammer, daя es Pinsker nicht vergцnnt war, das zu erleben. Er hдtte dann erfahren, daя sein prophetisches Wort nicht umsonst erschallt war, und sterbend hдtte er seinen Trost in dem Bewuяtsein gefunden, daя er doch nicht der letzte їstolze JudeЂ war.

 

 

(№bersetzung aus dem Hebrдischen.)

 


{5}

 

 

†††††††††††††††††††† VORBEMERKUNG DES VERFASSERS:

 

††††††††††††††††††††††† Auf den Jammer blutiger Gewalttдtigkeiten ist ein Moment der Ruhe gefolgt und Hetzer wie Gehetzte kцnnen eine Weile verschnaufen. Unterdessen werden die jьdischen Flьchtlinge mit eben jenem Gelde, das zum Zwecke der Auswanderung gesammelt wurde Ч їrepatriiert!Ђ Die Juden im Okzident aber haben den Hepp-Hepp-Ruf wieder ertragen gelernt, wie ihre Vдter in vergangenen Tagen. Der flammende Aus≠bruch der Entrьstung ьber die erlittene Schmach hat sich in einen Aschenregen verwandelt, der den glь≠henden Boden allgemach bedeckt. Schlieяt nur die Augen und versteckt den Kopf wie der Strauя Ч ein dauernder Friede ist Euch nicht beschieden, wenn Ihr den flьchtigen Moment der Ruhe nicht benьtzt und radikalere Heilmittel ersinnet als jene Palliative waren, mit denen an unserem unglьcklichen Volke seit Jahrtausenden herumgepfuscht wird!

 

Im September 1882.

 

їWenn ich selbst mir nicht

helfe, wer denn? und wenn

nicht heute, wann denn?

HILLEL

 

 

 

††††††††††† DAS URALTE PROBLEM DER JUDENFRAGE SETZT wie vor Zeiten so auch heute wieder die Gemьter in Erregung. Ungelцst, wie die Quadratur des Zirkels, bleibt es, ungleich dieser, immer noch die brennende Frage des Tages. Der Grund hierfьr liegt darin, daя das Problem kein bloя theoretisches Interesse darbietet, sondern sich im wirklichen Leben gleichsam von Tag zu Tag verjьngt und immer gebieterischer zur Entscheidung hindrдngt.

††††††††††† Nach unserer Auffassung besteht der Kernpunkt des Problems in folgendem:

††††††††††† Die Juden bilden im Schцяe der Vцlker, unter denen sie leben, tatsдchlich ein heterogenes Element, welches von keiner Nation gut vertragen werden kann.

††††††††††† Die Aufgabe besteht nun darin, ein Mittel zu finden, durch welches dieses exklusive Element dem Vцlkerverbande derart an≠gefaяt werde, daя der Judenfrage der Boden fьr immer entzogen sei.

 

{6}†††††† Wir kцnnen hierbei natьrlich nicht an die Herstellung einer ab≠soluten Harmonie denken. Eine solche hat wohl auch unter den ьbrigen Vцlkern niemals bestanden. Jener Messiastag, an welchem die їInternationaleЂ verschwinden und die Nationen in der Menschheit aufgehen werden, liegt noch in unsichtbarer Ferne. Bis dahin mьssen die Wьnsche und Ideale der Vцlker sich darauf beschrдnken, einen ertrдglichen modus vivendi zu schaffen.

††††††††††† Auf den ewigen Frieden wird man noch lange warten mьssen; bis dahin aber werden sich die Beziehungen der Nationen zu ein≠ander durch ein bedingtes Einvernehmen leidlich gut regulieren lassen Ч ein Einvernehmen, welches durch Vцlkerrecht, Vertrдge, besonders aber durch eine gewisse Ebenbьrtigkeit der Stellung und der gegenseitigen Ansprьche sowie durch gegenseitige Achtung hergestellt wird.

††††††††††† In den Beziehungen der Vцlker zu den Juden ist eine solche Ebenbьrtigkeit der Stellung nicht zu erkennen. Man ver≠miяt hier die Grundlage jener gegenseitigen Achtung, welche durch Vцlkerrecht oder Vertrдge reguliert und gesichert zu wer≠den pflegt. Erst wenn diese Grundlage hergestellt sein wird, wenn die Ebenbьrtigkeit der Juden mit den ьbrigen Nationen eine Tat≠sache geworden ist, kann das Problem der Judenfrage als gelцst betrachtet werden.

††††††††††† Leider ist eine solche Ebenbьrtigkeit, die in einer lдngst ver≠gessenen Vergangenheit als Realitдt existierte, erst wieder in einer so entfernten Zukunft zu erwarten, daя unter den jetzigen Ver≠hдltnissen das Einreihen des jьdischen Volkes in die Kategorie der дndern Vцlker illusorisch erscheint.

††††††††††† Es fehlen ihm hierzu die meisten jener Attribute, welche not≠wendig zur Erkennung einer Nation dienen. Es fehlt ihm jenes ureigene Leben, das ohne gemeinsame Sprache und Sitte, ohne rдumliche Zusammengehцrigkeit nicht denkbar ist. Das jьdische Volk hat kein eigenes Vaterland, wenn auch viele Mutterlдnder; es hat kein Zentrum, keinen Schwerpunkt, keine eigene Regie≠rung, keine Vertretung.

Es ist ьberall anwesend und nirgends zu Hause.

Die Nationen haben es n i e mit einer jьdischen Nation, sondern immer nur mit Juden zu tun. Fьr eine jьdische Natio≠nalitдt fehlt es den Juden an einer gewissen, jeder anderen Nation innewohnenden charakteristischen Volkstьmlichkeit, welche durch das Zusammenwohnen auf einem Staatsgebiete bedingt ist. Diese Volkstьmlichkeit konnte sich natьrlicherweise in der Zer≠streuung nicht herausbilden. Vielmehr scheint bei den Juden jede Erinnerung an die einstige gemeinsame Heimat vernichtet zu sein.

{7}†††††† Dank ihrer leichten Anpassungsfдhigkeit haben sie nur um so leichter sich die ihnen angeborenen Eigentьmlichkeiten derjenigen Vцlker angeeignet, unter die das Schicksal sie geworfen. Nicht selten haben sie sogar, ihren Schutzgebern zuliebe, sich ihrer tra≠ditionellen Originalitдt gдnzlich entдuяert. Sie haben sich gewisse kosmopolitische Tendenzen angeeignet oder eingeredet, welche ebensowenig дndern zusagen, als ihnen selbst genьgen konnten.

††††††††††† Indem sie sich mit anderen Vцlkern zu amalgamieren suchten, haben sie sich gewissermaяen mutwillig ihrer eigenen Nationalitдt begeben. Nirgends aber haben sie es durchgesetzt, daя sie von ihren Mitbьrgern als ebenbьrtige Eingeborene anerkannt worden wдren.

 

††††††††††† Was jedoch die Juden am meisten von der Erstrebung einer eigenen nationalen Existenz zurьckhдlt, ist der Umstand, daя sie nach einer solchen Existenz kein Bedьrfnis fьhlen. Ja, sie fьhlen nicht nur kein Bedьrfnis danach, sondern leugnen sogar die Berech≠tigung eines solchen Bedьrfnisses.

††††††††††† Beim Kranken ist das fehlende Bedьrfnis nach Speise und Trank ein sehr bedenkliches Symptom. Nicht immer gelingt es, ihn von seiner verhдngnisvollen Anorexie zu befreien. Und glьckt es selbst, diese zu beheben, so ist es noch fraglich, ob der Kranke imstande sein wird, die bereits begehrte Speise aufzunehmen.

††††††††††† Die Juden sind in der traurigen Lage eines solchen Kranken. Auf diesen wichtigsten aller Punkte mьssen wir mit aller Entschieden≠heit eingehen. Wir mьssen den Beweis fьhren, daя das Miяgeschick der Juden vor allem in ihrem Mangel an Bedьrfnis nach nationaler Selbstдndigkeit begrьndet ist, daя dieses Bedьrfnis aber notwendig in ihnen geweckt und wachgehalten werden muя, wenn sie nicht einer ewig schmachvollen Existenz preisgegeben sein wollen; mit einem Wort: daя sie eine Nation werden mьssen.

†††††††††††

††††††††††† In dem unscheinbaren Umstande, daя die Juden den Vцlkern nicht als selbstдndige Nation gelten, liegt zum Teil das Geheimnis ihrer Ausnahmestellung und ihres endlosen Elends. Die bloяe Zu≠gehцrigkeit zu diesem Volke ist ein unauslцschliches Brandmal, abstoяend fьr den Nichtjuden und peinlich fьr den Juden selbst. Und dennoch ist diese Erscheinung in der Natur des Menschen tief begrьndet.

††††††††††† Unter den lebenden Nationen der Erde stehen die Juden als eine schon seit langem abgestorbene Nation da. Mir dem Verlust ihres {8} Vaterlandes sind sie ihrer Selbstдndigkeit verlustig gegangen und einer Zersetzung anheimgefallen, die sich mit dem Wesen eines einheitlichen, lebendigen Organismus nicht vertrдgt. Der unter der Wucht der Rцmerherrschaft erdrьckte Staat verschwand vor den Augen der Vцlker.

Aber nachdem das jьdische Volk seine staatlich-leibliche Existenz, sein politisches Dasein aufgegeben, konnte es dennoch der totalen Vernichtung nicht anheimfallen, hцrte es nicht auf, geistig als Nation fortzubestehen.

Die Welt erblickte in diesem Volke die unheimliche Gestalt eines Toten, der unter den Lebenden wandelt. Diese geisterhafte Erscheinung eines wandelnden Toten, eines Volkes ohne Einheit und Gliede≠rung, ohne Land und Band, das nicht mehr lebt und dennoch unter den Lebenden umhergeht; diese sonderbare Gestalt, welche in der Geschichte ihresgleichen kaum wiederfindet, die ohne Vor≠bild und ohne Abbild ist, konnte nicht verfehlen, in der Ein≠bildung der Vцlker auch einen eigentьmlichen, fremdartigen Ein≠druck hervorzubringen. Und wenn die Gespensterfurcht etwas Angeborenes ist und eine gewisse Berechtigung findet im psychi≠schen Leben der Menschheit Ч was Wunder, daя sie sich auch angesichts dieser toten und dennoch lebenden Nation in hohem Grade geltend machte?

††††††††††† Es hat sich eine Scheu vor dem Judengespenst durch Geschlechter und Jahrhunderte vererbt und befestigt. Diese Scheu fьhrte zu einer Voreingenommenheit, welche ihrerseits in Verbindung mit noch andern, spдter zu erцrternden Umstдnden, der Judophobie Platz gemacht hat.

 

††††††† Im Verein mit allen anderen unbewuяten und aberglдubischen Vorstellungen, Instinkten und Idiosynkrasien hat auch die Judo≠phobie bei allen Vцlkern der Erde, mit denen die Juden ver≠kehrten, das volle Bьrgerrecht erworben. Die Judophobie ist eine Abart der Dдmonopathie, nur mit dem besonderen Unterschiede, daя das Judengespenst dem ganzen Menschengeschlechte und nicht bloя einzelnen Vцlkerschaften zu eigen geworden ist, und daя es nicht wie andere Gespenster wesenlos ist, sondern aus Fleisch und Blut besteht und selber von den Wunden, welche ihm von der scheuen, sich bedroht wдhnenden Menge beigebracht werden, die qualvollsten Schmerzen erduldet.

††††††††††† Die Judophobie ist eine Psychose. Als Psychose ist sie hereditдr, und als eine seit zweitausend Jahren vererbte Krankheit ist sie unheilbar.

†††††††††††

Die Gespensterfurcht ist es, welche als Mutter der Judophobie {9} jenen abstrakten, ich mцchte sagen, platonischen Haя hervor≠gerufen hat, dankwelchem die ganze jьdische Nation fьr die wirklichen oder angeblichen Vergehen ihrer einzelnen Mitglieder verantwortlich gemacht und so vielfдltig verleumdet, so schmдhlich ins Gesicht geschlagen zu werden pflegt.

 

††††††† Freund und Feind haben von jeher jenen Judenhaя zu erklдren oder zu rechtfertigen gesucht, indem sie gegen die Juden allerlei Beschuldigungen erhoben. Sie hдtten Jesus gekreuzigt, Christen≠blut getrunken, Brunnen vergiftet, Wucher getrieben, den Bauer exploitiert usw. Diese und tausend andere Beschuldigungen gegen ein ganzes Volk erwiesen sich als grundlos und erscheinen schon deshalb als hinfдllig, weil sie massenhaft herbeigezogen werden muяten, um das bцse Gewissen der Judenverfolger zu beschwichtigen, um das Verdammungsurteil ьber die ganze Nation zu recht≠fertigen, um die Notwendigkeit zu beweisen, daя der Jude (rich≠tiger das Judengespenst) verbrannt werden mьsse.

Wer zuviel beweisen will, beweist eben nichts. Und wenn den Juden auch mancherlei mit gutem Rechte vorgeworfen wird, so sind es jeden≠falls keine groяen Laster, keine todeswьrdigen Verbrechen, um deretwillen der Stab ьber die ganze Nation gebrochen werden mьяte. In konkreten Fдllen sehen wir vielmehr die widerspre≠chende Erscheinung, daя Juden im unmittelbaren Verkehre mit Nichtjuden sich leidlich gut vertragen, daя sie hдufig in durchaus freundschaftlichem Verhдltnis zu ihren nichtjьdischen Nachbarn stehen. Daher kommt es auch, daя die vorgebrachten Beschuldi≠gungen gewцhnlich ganz allgemeiner Natur, meist aus der Luft gegriffen sind, gewissermaяen a priori entstehen und hцchstens in einzelnen Fдllen zutreffen, nicht aber an der ganzen Nation sich bewahrheiten.

 

††††††† So gehen Juden und Judenhaя seit Jahrhunderten unzertrennlich vereint durch die Geschichte. Wie das Volk der Juden, dieser ewige Ahasverus, so scheint auch der Judenhaя nie sterben zu wollen. Man mьяte mit Blindheit geschlagen sein, um zu behaup≠ten, daя die Juden nicht das auserwдhlte Volk des allgemeinen Hasses sind. Die Vцlker mцgen in ihren gegenseitigen Beziehungen, in ihren Instinkten und Bestrebungen noch so auseinandergehen Ч in ihrem Widerwillen gegen die Juden reichen sie sich die Hдnde, in diesem einzigen Punkte sind sie alle miteinander einverstanden. In welchem Grade und unter welcher Gestalt sich diese Abneigung kundgibt, hдngt freilich von der Kulturstufe jedes einzelnen Vol≠kes ab. Im Wesen aber besteht sie ьberall und immer, gleichviel, {10} ob sie sich kundgibt in Form von Gewalttдtigkeiten, in neidischer Scheelsucht oder unter der Maske von Toleranz und Schutz.

Als Jude geplьndert sein, oder als Jude beschьtzt werden mьssen, ist gleich beschдmend, gleich peinlich fьr das menschliche Gefьhl der Juden.

 

††††††† Indem wir die Judophobie als eine dem Menschengeschlechte eigentьmliche, hereditдre Dдmonopathie aufgefaяt und den Juden≠haя als auf einer vererbten Verirrung des menschlichen Geistes beruhend darstellen, mьssen wir die fьr uns wichtige Folgerung ziehen, daя man auf die Bekдmpfung dieser feindseligen Strebun≠gen ebenso verzichten muя, wie auf die Bekдmpfung jeder anderen erblichen Disposition.

Diese Einsicht ist um so wichtiger, als es endlich angezeigt ist, von jeder Zeit und Krдfte raubenden Polemik als von einer unproduktiven Klopffechterei Abstand zu nehmen. Denn mit dem Aberglauben kдmpfen selbst Gцtter vergebens.

Voreingenommenheit oder bцser Instinkt vertragen sich mit keiner noch so scharfen und klaren Beweisfьhrung.

Man muя entweder die materielle Kraft haben, diese finstern Mдchte, wie jede andere blinde Naturkraft, in Schranken zu halten, oder ihnen einfach aus dem Wege gehen.

 

††††††† Im Seelenleben der Vцlker also finden wir die Begrьndung der Voreingenommenheit gegen die jьdische Nation. Aber auch noch andere, nicht weniger wichtige Momente, welche die Verschmel≠zung oder die Gleichstellung der jьdischen Nation mit den anderen Nationen unmцglich machen, mьssen in Betracht gezogen werden.

Im allgemeinen besitzt kein Volk eine Vorliebe fьr den Auslдnder. Diese Tatsache hat ihre ethnologische Begrьndung und kann keinem Volke zum Vorwurf gemacht werden.

††††††††††† Unterliegt nun der Jude diesem allgemeinen Gesetze in gleichem Maяe wie die ьbrigen Nationalitдten? Keineswegs! Die Abneigung, die dem Auslдnder im fremden Lande entgegentritt, kann in dessen Heimat mit gleicher Mьnze vergolten werden.

††††††††††† Ohne Anstoя und offen verfolgt der Nichtjude im Ausland seine eigenen Interessen. Man findet es ьberall natьrlich, ihn Ч allein oder im Verein mit дndern Ч fьr diese Interessen kдmpfen zu sehen. Der Auslдnder braucht im fremden Lande kein Patriot zu sein oder zu scheinen.

Der Jude ist aber in seiner Heimat nicht nur kein Einheimischer, er ist auch kein Auslдnder, er ist recht eigentlich ein Fremder їkat' exochenЂ. Man sieht in ihm weder den Freund noch den Feind, sondern einen Unbekannten, von welchem nur bekannt ist, daя er keine Heimat besitzt. Dem {11} Auslдnder mag man nicht vertrauen; dem Juden Ч nicht trauen.

Der Auslдnder beansprucht eine Gastfreundschaft, welche er mit gleicher Mьnze bezahlen kann. Der Jude kann auf solche Weise nicht quittieren; er darf daher keine Ansprьche machen auf Gastfreundschaft. Er ist kein Gast Ч viel weniger ein willkommener Gast.

Eher gleicht er dem Bettler; und welcher Bettler ist willkommen? Eher ist er ein Schutzbedьrftiger. Und wo ist der Schutzbedьrftige, dem Schutz nicht auch verweigert werden kцnnte? Die Juden sind Fremdlinge, welche keine Ver≠treter haben kцnnen, weil sie kein Vaterland haben.

Weil sie ein solches nicht haben, weil ihre Heimat ohne Grenzen ist, hinter denen sie sich verschanzen kцnnten Ч ist auch ihr Elend ohne Grenzen. Fьr die Juden als fьr wahre Fremde ist das Gesetz nicht geschrieben. Dagegen existieren ьberall Judengesetze. Und soll das allgemeine Gesetz auch fьr die Juden gelten, so muя dieses durch ein besonderes Gesetz erst ausdrьcklich bestimmt werden. Sie mьssen, wie die Neger, wie die Frauen, ungleich allen freien Vцlkern, emanzipiert werden.

 

††††††† Da der Jude nirgends zu Hause ist, nirgends als Einheimischer betrachtet wird, so bleibt er ьberall ein Fremdling.

Daя er selbst, daя auch seine Vorfahren im Lande geboren sind, дndert an diesem Tatbestand nicht das Geringste. In den allermeisten Fдllen wird er als Stiefkind, als Aschenbrцdel behandelt, im gьnstigsten Falle gilt er als Adoptivkind, dessen Rechte bestritten werden kцnnen: nie als legitimes Kind des Vaterlandes.

Der auf sein Germanentum stolze Deutsche, der Slawe, der Kelte gibt nicht zu, daя der semitische Jude ihm ebenbьrtig sei.

Und wenn er auch, als gebildeter Mensch, ihm alle bьrgerlichen Rechte einzurдumen bereit ist, so wird er es doch nie dahin bringen, in diesem seinen Mitbьrger den Juden zu vergessen. Die legale Eman≠zipation der Juden ist der Kulminationspunkt der Leistungen unseres Jahrhunderts. Aber diese gesetzliche Emanzipation ist nicht die gesellschaftliche, und mit der Dekre≠tierung der ersteren sind die Juden noch bei weitem nicht von der Ausschlieяlichkeit ihrer gesellschaftlichen Stellung emanzipiert.

††††††††††† Die Emanzipation der Juden findet natьrlich ihre Rechtfertigung darin, daя sie immer ein Postulat der Logik, des Rechtes und des wohlverstandenen Interesses gewesen sein wird.

Niemals wird man sie als einen spontanen Ausdruck mensch≠lichen Gefьhls ansehen kцnnen. Weit entfernt, ihre Entstehung dem spontanen Gefьhle der Vцlker zu verdanken, ist sie darum {12} auch nirgends selbstverstдndlich, und hat sie noch nirgends so tiefe Wurzel gefaяt, daя von ihr zu sprechen nicht mehr nцtig wдre.

Immerhin, ob die Emanzipation aus eigenem Antriebe, oder auf Grund bewuяter Motive vorgenommen wurde, bleibt sie eine reiche Gabe fьr das arme, erniedrigte Bettelvolk, dem man gern oder ungern das splendide Almosen hinwirft; fьr das Bettelvolk, das man trotzdem nicht gerne bei sich beherbergen mag. Denn man kann keine Sympathie, kein Zutrauen zu einem vaterlandslosen, wandernden Bettler hegen.

Der Jude darf nicht vergessen, daя ihm das tдgliche Brot des Bьrgerrechtes gegeben werden muя. Das Brandmal, das diesem Volk anhaftet, das ihm die so wenig beneidenswerte Isolierung unter allen Nationen auf≠drдngt, wird durch keine offizielle Gleichstellung weggewischt werden kцnnen, solange dieses Volk seiner Natur gemдя unstete Landstreicher schaffen wird; solange die Juden selbst in їarischerЂ Gesellschaft nicht gerne von ihrer semitischen Herkunft sprechen, nicht gerne an diese erinnert werden mцgen; solange man sie verfolgen, dulden, beschьtzen, emanzipieren wird.

(Diese Analysen wurden in Jahre 1882 in Ruяland verfaяt! Ц ldn-knigi)

 

††††††† Zu diesem entwьrdigenden Abhдngigkeitsverhдltnis des ewig fremden Juden zum Nichtjuden kommt nun ein wesentliches, praktisch wichtiges Moment hinzu, welches eine Verschmelzung der Juden mit den Bodenstдndigen vollends unmцglich macht.

††††††††††† Im groяen Kampfe ums Dasein unterwerfen die Kulturvцlker sich gern den Gesetzen, welche diesen Kampf in eine friedliche Kon≠kurrenz, in einen edlen Wetteifer verwandeln helfen. Hier machen die Vцlker gewцhnlich einen Unterschied zwischen dem In- und Auslдnder, wobei natьrlicherweise dem ersteren immer der Vorzug gegeben wird.

Wenn nun dieser Unterschied schon in bezug auf den ebenbьrtigen Auslдnder geltend gemacht wird, wie grell muя er dem ewig fremden Juden gegenьber ausfallen!

Mit welchem Unwillen muя der Bettler angesehen werden, der es wagt, seine lьsternen Augen auf die ihm fremde Heimat zu werfen Ч wie auf ein geliebtes Weib, das miяtrauische Verwandte beschьtzen! Und hat er trotzdem Erfolge, und gelingt es ihm, manche Blume von ihrem Kranze zu pflьcken, dann wehe dem Unglьcklichen! Er beklage sich nicht, wenn es ihm ergeht, wie es den Juden in Spanien und Ruяland ergangen ist.

††††††††††† Damit es den Juden schlecht ergehe, bedarf es ьbrigens ihrerseits nicht einmal besonderer Erfolge. Dort, wo sie in grцяeren Massen angehдuft sind, mьssen sie schon durch ihre Zahl ein mehr oder weniger bedeutendes №bergewicht in der Konkurrenz zu Ungunsten der nichtjьdischen Bevцlkerung ausmachen. In den {13} westlichen Provinzen Ruяlands sehen wir die dort zusammen≠gepferchten Juden im schauerlichsten Pauperismus ein kьmmerliches Dasein fristen. Und dennoch hцrt man nicht auf, sich ьber die Exploitation der Juden zu beklagen.

 

*

††††††††††† Resьmieren wir das Gesagte, so ist der Jude fьr die Lebenden ein Toter, fьr die Eingeborenen ein Fremder, fьr die Einheimischen ein Landstreicher, fьr die Besitzenden ein Bettler, fьr die Armen ein Ausbeuter und Millionдr, fьr die Patrioten ein Vaterlandsloser, fьr alle Klassen ein verhaяter Konkurrent.

 

††††††† Auf diesem naturgemдяen Antagonismus beruht die Unzahl der beiderseitigen Miяverstдndnisse und der Beschuldi≠gungen und Vorwьrfe, welche beide Parteien im Recht oder Unrecht einander entgegenschleudern.

So appellieren die Juden, anstatt die eigene Lage richtig zu erkennen und eine entsprechende rationelle ligne de conduite festzustellen, an die ewige Gerech≠tigkeit und wдhnen dadurch etwas ausrichten zu kцnnen.

Anderer≠seits, statt einfach sich auf ihre natьrliche №bermacht zu stьtzen und ihren historisch-tatsдchlichen Standpunkt, den Standpunkt des Stдrkeren, festzuhalten, versuchen die N i c h t j u d e nihre abweisende Stellung durch eine Masse von Beschuldigungen zu rechtfertigen, welche bei nдherer Prьfung sich als grundlos oder unwesentlich erweisen.

Wer aber unparteiisch sein will, wer die Dinge dieser Welt nicht nach den Prinzipien eines utopischen Arkadien beurteilen und zurechtlegen, sondern einfach konstatie≠ren und erklдren will, um daraus einen praktisch-nьtzlichen Schluя zu ziehen, der wird fьr den geschilderten Antagonismus keine von beiden Parteien ernstlich verantwortlich machen.

Den Juden aber, um die es uns hier zu tun ist, wird er sagen: Ihr seid doch wahrlich ein tцrichtes und verдchtliches Volk! Tцricht seid ihr, weil ihr unbeholfen dastehet und der menschlichen Natur etwas zumutet, was ihr von jeher abging Ч die Humanitдt nдmlich. Verдchtlich seid ihr, weil ihr keine wahre Eigen≠liebe und kein nationales Selbstgefьhl habt.

††††††††††† Nationales Selbstgefьhl! Wo dieses hernehmen? Das ist ja das groяe Unglьck unseres Stammes, daя wir keine Nation ausmachen, daя wir bloя Juden sind. Eine ьber den ganzen Erdboden zerstreute Herde sind wir, ohne schьtzenden und sammelnden Schдfer.

††††††††††† Wahr ist, daя unsere lieben Schutzgeber von jeher bieder dafьr gesorgt haben, daя wir nie zu Atem kommen, und unser Selbst≠gefьhl nicht zur Geltung gelange. Als vereinzelte Juden, aber {14} nicht als Jьdische Nation, fьhren wir seit Jahrhunderten den harten und ungleichen Kampf ums Dasein. In der Vereinzelung muяte jeder fьr sich seinen Geist und seine Energie fьr ein Stьck trдnenbenetzten Brotes und etwas sauerstoffhaltige Luft verzetteln.

In diesem verzweifelten. Kampfe unterlagen wir nicht. Wir fьhrten den ruhmvollsten aller Partisanenkriege mit allen Vцlkern der Erde, welche uns einmьtig vernichten wollten. Aber der Krieg, den wir fьhrten, und den wir noch Gott weiя wie lange fьhren werden, galt nicht einem Vaterlande, sondern

der kьmmerlichen Erhaltung von Millionen Ч їhausierender Juden!Ђ

††††††††††† Wenn alle Vцlker der Erde nicht imstande waren, unser Dasein zu vernichten, so vermochten sie nichtsdestoweniger, in uns das Gefьhl unserer nationalen Selbstдndigkeit zu ersticken.

Und mit fatalistischem Gleichmute sehen wir es an, wie man in manchem Lande uns eine Anerkennung verweigert, welche auch den Zulus nicht leicht versagt werden wьrde.

In der Zerstreuung behaupteten wir unser individuelles Leben, bewiesen wir unsere Widerstands≠fдhigkeit, verloren aber das gemeinsame Band unseres nationalen Selbstbewuяtseins.

Indem wir unser materielles Dasein zu erhalten suchten, waren wir nur zu oft gezwungen, unsere moralische Wьrde auяer acht zu lassen. Wir bemerkten nicht, daя wir durch diese unwьrdige, wenn auch aufgezwungene Taktik nur um so tiefer in den Augen unserer Widersacher gesunken sind, nur um so mehr einer erniedrigenden Verachtung, einer vogelfreien Existenz preisgegeben wurden, die schlieяlich uns zu einer unheil≠vollen Erbschaft geworden.

Auf der groяen weiten Erde fand sich kein Platz fьr uns. Damit wir nur irgendwie das mьde Haupt zur Ruhe legen kцnnen, baten wir bloя um ein kleines Plдtzchen, und so verkleinerten wir allmдhlich mit unseren Ansprьchen auch unsere Selbstwьrde, die in fremden und eigenen Augen bis zur Unkenntlichkeit verwischt wurde.

Wir waren der Spielball, den die Vцlker sich gegenseitig zuwarfen. Wir wurden ebenso gerne aufgefangen, wie gestoяen. Man trieb mit uns das bцse Spiel um so lieber, je nachgiebiger und elastischer unser nationales Selbst≠bewuяtsein sich in den Hдnden der Spieler erwies.

††††††††††† Wie konnte unter solchen Umstдnden von einer nationalen Selbst≠bestimmung, von einer freien aktiven Entwicklung unserer natio≠nalen Kraft oder von urwьchsiger Genialitдt die Rede sein?

††††††††††† Beilдufig bemerkt, haben unsere Feinde nicht ermangelt, aus diesem letzteren, an sich teilweise nicht unwahren, aber im Grunde genommen hцchst irrelevanten Charakterzug Mьnze zu schlagen, {15} im unsere Inferioritдt zu beweisen.

Man sollte meinen, daя in ihren Reihen die genialen Mдnner wie Brombeeren an der Hecke wachsen. Die Armseligen! Dem Adler, der einst zum Himmel emporstieg und die Gottheit erkannte, machen sie den Vorwurf, daя er nicht hoch genug in den Lьften schwebt, wenn ihm die Flьgel abgeschnitten sind.

Doch auch mit abgeschnittenen Flьgeln sind wir auf der Hцhe der groяen Kulturvцlker geblieben. Gцnnet uns einmal das Glьck einer Selbstдndigkeit, lasset uns ьber unser Schicksal allein verfьgen, gebet uns ein Stьckchen Land, wie den Serben und Rumдnen, gцnnet uns erst den Vorteil einer freien nationalen Existenz Ч dann waget es, ein absprechendes Urteil ьber uns zu fдllen, uns den Mangel an genialen Mдnnern vorzu≠werfen!

Fьr jetzt leben wir noch unter dem Druck der №bel, die ihr uns zufьgt. Was uns fehlt, ist nicht die Genialitдt, sondern das Selbstgefьhl und das Bewuяtsein der Menschenwьrde, das ihr uns geraubt.

††††††††††† Wenn wir miяhandelt, beraubt, geplьndert, geschдndet werden, dann wagen wir es nicht, uns zu verteidigen und, was noch schlimmer ist, fast finden wir es so in der Ordnung. Schlдgt man uns ins Gesicht, so kьhlen wir die brennende Wange mit kaltem Wasser, und hat man uns eine blutige Wunde beigebracht, so legen wir einen Verband an.

 

Werden wir hinausgeworfen aus dem Hause, das wir uns selbst gebaut, so flehen wir demьtig um Gnade, und gelingt es uns nicht, das Herz unseres Drдngers zu erweichen, so ziehen wir weiter und suchen Ч ein anderes Exil.

Hцren wir auf dem Wege einen mьяigen Zuschauer uns zurufen: їArme Teufel von Juden, ihr seid doch recht zu bedauernЂ, so sind wir aufs tiefste gerьhrt, und sagt man von einem Juden, er mache seinem Volke Ehre, so ist dieses Volk tцricht genug, darauf stolz zu sein.

So weit sind wir gesunken, daя wir fast ьbermьtig wer≠den vor Freude, wenn, wie in Westeuropa, ein geringer Bruchteil unseres Volkes mit den Nichtjuden gleichgestellt wurde.

Wer gestellt werden muя, steht bekanntlich schwach auf den Fьяen. Wird keine Notiz genommen von unserer Abstammung, und werden wir wie die anderen Landeskinder angesehen, so sind wir dankbar Ч bis zur absoluten Selbstverleugnung. Fьr die uns gegцnnte behagliche Stellung, fьr den Fleischtopf, den wir unge≠stцrt benutzen dьrfen, reden wir uns und den anderen ein, daя wir gar keine Juden mehr sind, sondern Vollblutsцhne des Vater≠landes.

Eitler Wahn! Ihr mцget euch als noch so treue Patrioten bewдhren, ihr werdet dennoch bei jeder Gelegenheit an eure semitische Abstammung erinnert werden. Dieses verhдngnisvolle {16} їMemento moriЂ wird euch aber nicht hindern, so lange von der gewдhrten Gastfreundschaft Gebrauch zu machen, bis man euch eines schцnen Morgens ьber die Grenze hinauswirft, bis der Mob euch daran erinnert, daя ihr im Grunde doch nichts als Land≠streicher und Parasiten seid, fьr welche kein Gesetz geschrieben ist.

Aber auch eine humane Behandlung gelte uns nicht als Beweis, daя wir gewьnscht und nicht eher verwьnscht werden.

†††††††

††††††† Welche klдgliche Figur machen wir doch! Wir zдhlen nicht als Nation in der Reihe der anderen Nationen und haben keine Stimme im Rate der Vцlker, auch nicht in Dingen, die uns selbst angehen. Unser Vaterland Ч die Fremde, unsere Einheit Ч die Zerstreuung, unsere Solidaritдt Ч die allgemeine Anfeindung, unsere Waffe Ч die Demut, unsere Wehrkraft Ч die Flucht, unsere Originalitдt Ч die Anpassung, unsere Zukunft Ч der nдchste Tag. Welche ver≠дchtliche Rolle fьr ein Volk, das einst seine Makkabдer hatte!

 

††††††††††† Was Wunder, daя ein Volk, welches fьr das liebe Leben sich mit Fьяen treten lieя und diese Fьяe auch zu kьssen gelernt, der tief≠sten Verachtung anheimfallen muяte.

††††††††††† Das Verhдngnisvolle in unserer Geschichte liegt darin, daя wir weder sterben noch leben kцnnen.

Sterben kцnnen wir nicht, ungeachtet der Schlдge unserer Feinde, und wollen wir nicht durch eigene Hand, durch Renegation und Selbstvernichtung.

Aber auch leben kцnnen wir nicht, dafьr sorgen schon unsere Feinde. Als Nation ein neues Leben beginnen, um zu leben wie die ande≠ren Vцlker Ч auch das wollen wir nicht, dank jenen ьbereifrigen Patrioten, welche es fьr nцtig erachten, ihrer ьbrigens ganz selbst≠verstдndlichen Bьrgertreue die Berechtigung zu jedem selbstдndig nationalen Leben zum Opfer zu bringen. Solche patriotischen Fa≠natiker verleugnen ihr ureigenes Wesen zugunsten jeder anderen beliebigen, hцher oder niedriger stehenden Nationalitдt. Aber sie betцren niemand. Sie sehen nicht, wie gerne man sich fьr ihre jьdische Kameradschaft bedankt.

 

††††††† So leben wir seit achtzehn Jahrhunderten in Schmach Ч und nicht ein einziger ernstlicher Versuch, sie abzuschьtteln! Wohl kennen wir die groяe Leidensgeschichte unseres Volkes, und wir sind wahrlich die letzten, die unsere Vorfahren dafьr verantwortlich machen wollten.

††††††††††† Die Sorge fьr die individuelle Selbsterhaltung muяte jeden nationalen Gedanken, jede gemeinschaftliche Volksbewegung im Keime ersticken.

{17}†††† Wenn die nichtjьdischen Volker, dank unserer Zerstreuung, in jedem einzelnen von uns das ganze jьdische Volk treffen wollten, so waren wir zwar als Volk resistent genug, um nicht zu unter≠liegen, aber auch zu ohnmдchtig, um uns zu erheben und einen aktiven Kampf auf eigene Faust fortzufьhren. Unter dem Drucke aller uns feindlichen Vцlker des Erdbodens sind wir im Laufe un≠seres langen Exils jedes Selbstvertrauens, jeder Initiative verlustig gegangen.

††††††††††† Zudem hat der Messiasglaube, der Glaube an die Einmischung einer hцheren Macht zugunsten unserer politischen Auferstehung, und die religiцse Annahme, daя wir eine ьber uns von Gott ver≠hдngte Strafe geduldig ertragen mьssen, uns jeder Sorge um un≠sere nationale Befreiung, um unsere Einheit und Unabhдngigkeit enthoben.

Wir verlieяen daher faktisch jeden Vaterlandsgedanken und taten dies um so williger, je mehr wir fьr unser materielles Fortkommen zu sorgen hatten. So sanken wir immer tiefer und tiefer. Die Vaterlandslosen wurden vaterlandsver≠gessen. Ist es nicht endlich an der Zeit, einzusehen, wie schimpf≠lich dies fьr uns ist?

 

††††††† Glьcklicherweise stehen gegenwдrtig die Dinge doch etwas anders. Die Ergebnisse der letzten Jahre im gebildeten Deutschland, in Rumдnien, in Ungarn, besonders aber in Ruяland, haben das hervorgebracht, was die viel blutigeren Verfolgungen im Mittel≠alter nicht zu bewirken vermochten. Das Volksbewuяtsein, welches damals nur im latenten Zustande eines sterilen Mдrtyrertums sich befunden, entlud sich unter unseren Augen in der Maske der russi≠schen und rumдnischen Juden in der Form eines unwidersteh≠lichen Dranges nach Palдstina.

So verfehlt auch dieser Drang in seinen Resultaten sich erwiesen hat, so zeugt er doch fьr den rich≠tigen Instinkt des Volkes, dem es klar geworden, daя es einer Hei≠mat bedarf.

Die harten Prьfungen, die es ьberstanden, haben jetzt eine Reaktion hervorgerufen, die etwas anderes bedeutet, als die fatalistische Erduldung einer von Gottes Hand verhдngten Strafe. Auch an der dunklen Masse der russischen Juden sind die Prin≠zipien der modernen Kultur nicht spurlos vorьbergegangen. Ohne auf das Judentum und auf ihren Glauben zu verzichten, ist sie aufs tiefste empцrt ьber eine unberechtigte Miяhandlung, die nur darum ungestraft sich vollziehen konnte, weil eben die jьdische Bevцlkerung fьr die russische Regierung eine fremde ist.

Und die ьbrigen europдischen Regierungen Ч wie sollen sie sich um Bьrger eines Reiches kьmmern, in dessen innere Angelegenheiten sich einzumischen niemand ein Recht hat?

{18}†††† Heutzutage, seitdem unsere Stammesgenossen auf einem kleinen Teile der Erde zu Atem gekommen und fьr die Leiden ihrer Brь≠der teilnahmsfдhiger geworden sind; heutzutage, seitdem man eine Anzahl untergeordneter und erdrьckter Nationalitдten ihre Selb≠stдndigkeit wieder gewinnen lieя,

dьrfen auch wir nicht einen Augenblick mehr die Hдnde im Schoя ruhen lassen, dьrfen wir nicht zugeben, daя wir auch in Zukunft dazu verdammt sein sol≠len, die aussichtslose Rolle des їewigen JudenЂ fortzuspielen.

Ja, aussichtslos ist diese Rolle zum Verzweifeln.

††††††††††† Hat ein einzelner Mensch das Unglьck, in eine Lage zu geraten, wo er sich von der Gesellschaft verachtet und verstoяen sieht, so nimmt es niemand Wunder, wenn er einen Selbstmord begeht. Aber wo ist das Todeswerkzeug, welches allen auf der Erde zer≠streuten Gliedern des jьdischen Volksorganismus den Gnadenstoя erteilen kцnnte. Und welche Hand wьrde sich dazu hergeben?

Je weniger dies mцglich und wьnschenswert ist, um so mehr lastet auf uns die Verpflichtung, die ganze uns noch gebliebene mora≠lische Kraft aufzubieten, um uns zu retablieren, damit auch wir endlich im Kreise der lebenden Nationen eine ertrдglichere und wьrdigere Stellung einnehmen.

 

††††††† Wenn aber der Standpunkt, von dem wir ausgingen, ein richtiger ist, wenn die Voreingenommenheit des Menschengeschlechtes gegen uns auf angeborenen und unausrottbaren, in anthropologischer und sozialer Hinsicht tief begrьndeten Prinzipien beruht, so mьs≠sen wir auch den langsamen Fortschritt der Menschheit auf sich beruhen lassen und einsehen lernen, daя, solange wir nicht wie die anderen Nationen ein eigenes Heim haben, wir ein fьr allemal die edle Hoffnung aufgeben mьssen, mit den anderen gleichwertige Menschen zu werden.

Wir mьssen uns zu der Einsicht bekehren, daя, ehe die groяe Humanitдtsidee alle Vцlker der Erde vereini≠gen wird, noch eine Reihe von Jahrtausenden vergehen kann, und daя bis dahin ein Volk, welches ьberall und nirgends zu Hause ist, auch ьberall als fremder Kцrper von den Volksorganismen empfunden werden wird.

Es ist die Zeit gekommen fьr eine nьch≠terne und leidenschaftslose Erkenntnis unserer wahren Lage.

Mit unparteiischem Blicke, ohne vorgefaяte Meinung mьssen wir im Vцlkerspiegel die tragisch-possenhafte Figur unseres Volkes her≠auserkennen, welche verzerrten Gesichts und mit verstьmmelten Gliedern die groяe Weltgeschichte mitmachen hilft, ohne mit der eigenen kleinen Volksgeschichte auch nur leidlich fertig zu werden.

Wir mьssen uns ein fьr allemal mit der Idee befreunden, daя die {19} anderen Nationen vermцge eines ihnen innewohnenden, natur≠gemдяen Antagonismus uns ewig ausstoяen werden. Vor dieser Naturkraft, welche wie jede andere Elementarkraft wirkt, dьrfen wir unsere Augen nicht verschlieяen; wir mьssen von ihr Notiz nehmen.

Beklagen dьrfen wir uns ьber dieselbe nicht. Ver≠pflichtet sind wir dagegen, uns selbst zusammenzunehmen, uns aufzuraffen und darauf zu achten, daя wir nicht in Ewigkeit das Aschenbrцdel, der Amboя der Vцlker verbleiben.

 

††††††† So wenig wir das Recht haben, alle anderen Vцlker fьr unser nationales Unglьck verantwortlich zu machen, ebensowenig sind wir berechtigt, unser nationales Glьck einzig und allein in ihre Hдnde zu legen. Auf dem unabsehbar langen Wege zum voll≠kommenen praktischen Humanismus, wenn es ьberhaupt je zu einem solchen kommen soll, befindet sich das Menschengeschlecht und wir mit ihm kaum auf der ersten Etappe.

 

Darum mьssen wir von der Wahnvorstellung ablassen, daя wir mit unserer Zer≠streuung eine providentielle Mission erfьllen Ч eine Mission, an welche keiner glaubt, ein Ehrenamt, das wir, aufrichtig gesprochen, gern aufgeben mцchten, wenn nur damit zugleich auch der Schimpf≠name їJudeЂ aus der Welt geschafft werden kцnnte.

††††††††††† Bisher gelten wir in der Welt nicht als solide Firma und wir genie≠яen daher auch keinen rechten Kredit. Nicht in illusorischen Selbst≠tдuschungen, sondern nur in der Wiederherstellung eines eigenen, einheitlichen, nationalen Bandes haben wir unsere Ehre, unser Heil zu suchen.

 

††††††† Wenn die nationalen Bestrebungen mancher unter unseren Augen entstandenen Vцlker eine innere Berechtigung hatten, kann es dann noch fraglich sein, ob auch den Juden diese Berechtigung zukomme? Mehr als jene greifen sie in das internationale Kulturleben ein; mehr als jene haben sie sich um die Menschheit verdient gemacht, haben sie eine Vergangenheit, eine Geschichte, eine gemeinsame unvermischte Abstammung, eine unverwьstliche Lebenskraft, einen unerschьtterlichen Glauben und eine beispiellose Leidensgeschichte aufzuweisen; mehr als an jeder anderen Nation haben an ihnen die Vцlker sich versьndigt. Ist das noch immer zu wenig, um sie vater≠landsfдhig, vaterlandswьrdig zu machen?

††††††††††† Das Streben der Juden nach einer national-politischen Einheit und Selbstдndigkeit hat nicht allein eine innere Berechtigung wie das jedes anderen unterdrьckten Volkes, es mьяte auch Zustimmung finden bei den Vцlkern, denen wir, mit Recht oder Unrecht, unbe≠quem sind. Dieses Streben muя eine Tatsache werden, die sich der {20} internationalen Politik der Gegenwart unwiderstehlich aufdrдngt und gewiя auch eine Zukunft haben wird.

 

††††††† Wohl muя man gleich am Anfange auf ein groяes Geschrei gefaяt sein.

Wohl werden die ersten Regungen dieses Strebens von den meisten der mit Recht furchtsam und skeptisch gewordenen Juden als unbewuяte Zuckungen eines schwer darniederliegenden Orga≠nismus ausgegeben werden; und gewiя wird die Durchfьhrung und Verwirklichung solcher Bestrebungen den grцяten Schwierigkeiten unterliegen, vielleicht nur nach ьbermenschlichen Anstrengungen mцglich werden.

Man bedenke aber nur, daя sich den Juden kein anderer Ausweg aus ihrer verzweifelten Lage darbietet und daя es feige wдre, einen solchen Weg nicht zu betreten, bloя weil er lang, schwierig und gefдhrlich ist, weil er nur wenig sichere Chancen fьr einen glьcklichen Erfolg bietet. Wer nicht wagt, gewinnt nicht Ч und wahrlich, was haben wir noch zu verlieren? Im schlimmsten Falle bleiben wir auch fernerhin, was wir bislang waren, und was wir aus Feigheit nicht aufhцren wollen zu sein: die ewig verachteten Juden.

††††††††††† Unter den gegebenen und nicht zu дndernden Umstдnden waren wir, sind wir und werden wir zu allen Zeiten die Parasiten sein, welche der herrschenden Bevцlkerung zur Last fallen und es ihr nie≠mals recht machen werden.

Das wird um so weniger der Fall sein, da wir, wie es scheint, nur in einem minimalen Verhдltnis uns mit den Nationen vermischen kцnnen. Daher muя es unsere Pflicht sein, dafьr zu sorgen, daя der №berschuя, der ungelцste Rьck≠stand, entfernt und anderwдrts untergebracht werde. Keinem andern kann es obliegen, dafьr zu sorgen, als uns selbst.

Wenn man die Juden unter alle Nationen der Erde gleichmдяig verteilen kцnnte, so wьrde es vielleicht keine Judenfrage mehr geben. Aber dies ist nicht mцglich. Es muя vielmehr zugegeben werden, daя man fьr eine Masseneinwanderung der Juden sich selbst in den vor≠geschrittensten Staaten sehr bedanken wird.

††††††††††† Mit schwerem Herzen sprechen wir dies aus; aber wir mьssen die Wahrheit eingestehen. Und diese zu erkennen, tut uns um so mehr not, als wir nur durch die rechte Einsicht imstande sein werden, die rechten Mittel zur Besserung unserer Lage zu finden.

††††††††††† Auch wдre es sehr traurig, wenn wir die praktischen Ergebnisse un≠serer Erfahrungen nicht benutzen wollten.

††††††††††† Diese Ergebnisse beruhen vor allem in der sich immer mehr ver≠breitenden Erkenntnis, daя wir nirgends zu Hause sind, und daя {21} wir endlich doch irgendeine Heimat, wenn nicht ein eigenes V a t e r l a n d haben mьssen.

††††††††††† Ein weiteres Ergebnis unserer Erfahrungen besteht darin, daя der klдgliche Ausgang der Emigration aus Ruяland und Rumдnien nach den Pogromen von 1881 einzig und allein dem hochwichtigen Um≠stande zuzuschreiben ist, daя wir unvorbereitet von ihr ьberrascht wurden, daя fьr die Hauptsache nicht vorgesorgt worden Ч weder fьr ein Asyl, noch fьr eine regelrechte Organisa≠tion der Auswanderung selbst.

Bei diesem Umzuge von Tausenden hat man eine Kleinigkeit vorzubereiten vergessen, die kein Bьrger vergiяt, wenn er umziehen will Ч eine neue

p a s s e n d eWohnung.

 

††††††† Wenn wir nun um eine sichere Heimat besorgt sind, um das ewige Wanderleben aufzugeben und unsere Nation in eigenen und frem≠den Augen aufzurichten, so dьrfen wir vor allem nicht davon trдu≠men, das alte Judдa wieder herzustellen.

Wir dьrfen nicht dort wieder anknьpfen, wo einst unser Staatsleben gewaltsam abgebro≠chen und zertrьmmert worden ist. Unsere Aufgabe, wenn sie einmal gelцst sein soll, sei eine bescheidene.

Ohnehin ist sie schwierig genug. Nicht das їh e i l i g eЂ Land soll jetzt das Ziel unserer Be≠strebungen werden, sondern das їeigeneЂ.

Wir brauchen nichts als ein groяes Stьck Landes fьr unsere armen Brьder, welches unser Eigentum bleiben soll, aus dem kein fremder Herr uns verdrдngen kцnnte.

Dorthin wollen wir das Heiligste mitbringen, was wir aus dem Schiffbruch unseres einstigen Vaterlandes gerettet: die Got≠tesidee und die Bibel.

Denn nur diese sind es, welche unser altes Vaterland zum Heiligen Lande gemacht, nicht etwa Jerusa≠lem oder der Jordan. Mцglicherweise kцnnte auch das heilige Land unser eigenes werden.

Dann um so besser, aber es muя vor allem festgestellt werden Ч und darauf kommt es nur an Ч welches Land uns ьberhaupt zugдnglich und gleichzeitig geeignet ist, den Juden aller Lдnder, welche ihre Heimat verlassen mьssen, eine sichere, un≠angefochtene, produktionsfдhige Zufluchtstдtte zu bieten.

 

††††††† Wir verkennen nicht, daя die Erreichung dieses Zieles, welches die Lebensaufgabe unserer Nation ausmachen sollte, den grцяten inneren und дuяeren Schwierigkeiten begegnen wird.

Schwieriger aber als alles andere wird schon die erste notwendigste Bedingung hierfьr zu beschaffen sein: der nationale Entschluя. Denn leider, ein starres Volk sind wir. Wie leicht kцnnte eine konserva≠tive Opposition, von der die Geschichte unseres Volkes so vieles {22} zu erzдhlen weiя, einen solchen Entschluя im Keime ersticken.

Wehe dann unserer ganzen Zukunft!

††††††††††† Welch ein Unterschied zwischen einst und jetzt! Einmьtig und in geschlossenen Reihen vollzogen wir einst einen geordneten Auszug aus ƒgypten, um einer schmachvollen Sklaverei zu entgehen und ein Vaterland zu erobern.

Jetzt wandern wir aus als Flьchtlinge und Vertriebene, den Kazapenfuяtritt auf dem Nacken, den Tod im Herzen, ohne einen Moses als Fьhrer, ohne Verheiяung eines Lan≠des, das wir durch eigene Kraft zu besetzen bestimmt wдren.

Durch aller Herren Lдnder treibt man uns: hier eskortiert man uns mit aller Hцflichkeit weiter, damit wir keine Pest verschleppen, dort werden wir im besten Falle irgendwo und irgendwie untergebracht, um frei und unbehelligt Ч mit alten Kleidern zu handeln, Zigaret≠ten zu drehen, oder Stьmper des Ackerbaues zu werden.

Es war ein Euphemismus, wenn wir von Emigration sprachen. Beschдmt und ratlos standen die Flьchtlinge an der Grenze und spдhten mit ihren hohlen Augen nach Hilfe. Einige wenige Baracken und einige tau≠sende von Freibilletts dienten quasi als Antwort... Dann noch einige Repatriationstransporte, noch tausend bittere Enttдuschun≠gen, und die Flut einer zu neuem Leben erwachten Volksbewegung wird zu Ebbe. Ringsum wird's still, und unsere wohltдtigen Brьder im Westen begeben sich behaglich zur Ruhe. Der wogende See von gestern legt sich und verwandelt sich in den alten Sumpf mit dem alten kriechenden Gezьchte.

††††††††††† So drehen wir uns ratlos im verzauberten Kreise bereits seit Jahr≠tausenden und lassen das blinde Schicksal ьber uns walten! Denn die tausendjдhrigen Leiden haben aus uns nur ein Volk von їbarm≠herzigen BrьdernЂ gemacht, aber keine rationellen Volks≠дrzte geschaffen. Wir folgen dem alten Schlendrian, indem wir im≠mer nur zur Palliative der Wohltдtigkeit greifen. Aber wir wollen es nicht verstehen, unser Siechtum an seiner Wurzel zu fassen, um es radikal zu heilen.

††††††††††† Intelligent und reich an Erfahrungen, sind wir kurzsichtig und leichtsinnig wie Kinder, haben wir keine Zeit gefunden, uns zu sam≠meln und uns zu fragen, ob denn dieses tolle Treiben, oder besser dieses tolle Getriebensein nie ein Ende nehmen soll?

 

††††††† Im Leben der Vцlker wie im Leben des einzelnen gibt es wichtige Momente, die nicht oft wiederkehren und die, benutzt oder unbe≠nutzt, einen entscheidenden Einfluя auf die Zukunft, auf das Wohl oder Wehe des Volkes wie des einzelnen ausьben.

Wir durchleben gegenwдrtig einen solchen Moment. Das Bewuяtsein des Volkes ist {23} erwacht. Die groяen Ideen des 18. und 19. Jahrhunderts sind auch an unserem Volke nicht spurlos vorьbergegangen.

Wir fьhlen uns nicht allein als Juden; wir fьhlen uns als Menschen. Als Menschen wollen wir auch leben und eine Nation sein wie die anderen. Und wenn wir das ernstlich wollen, dann mьssen wir vor allem uns dem alten Joch entwinden und uns mдnnlich aufrichten. Dann mьssen wir vorerst uns selbst helfen wollen.

Dann erst wird auch die fremde Hilfe nicht auf sich warten lassen.

††††††††††† Aber die Zeit, die wir gegenwдrtig durchleben, ist nicht bloя aus Grьnden unserer inneren Erfahrung, nicht bloя infolge unseres neu erwachten Selbstbewuяtseins zu endlichem Handeln geeignet. Die allgemeine Geschichte der Gegenwart scheint dazu berufen, unsere Verbьndete zu werden.

Im Laufe von einigen wenigen Dezennien sahen wir Nationen sich zu neuem Leben aufrichten, die in einer frьheren Zeit nicht gewagt hдtten, an ein Wiederauf≠kommen zu denken. Schon dдmmert es im Dunkel der traditionel≠len Staatsweisheit. Bereits neigen die Regierungen, allerdings erst dort, wo sie nicht anders kцnnen, ihr Ohr der immer lauter wer≠denden Stimme des nationalen Selbstbewuяtseins. Freilich waren die Glьcklichen, die ihre nationale Selbstдndigkeit erlangten, keine Juden. Sie standen auf eigenem Boden und redeten eine Sprache, und darin waren sie allerdings vor uns im Vorteil.

 

††††††† Aber wenn unsere Lage auch eine schwierigere ist, so sind wir des≠halb doch um so mehr verpflichtet, alle uns zu Gebote stehenden Krдfte aufzubieten, um unserem nationalen Elend in rьhmlicher Weise ein Ende zu machen.

Opferbereit und entschlossen mьssen wir ans Werk gehen, und Gott wird uns helfen. Opferbereit waren wir immer, und auch an Entschlossenheit fehlte es uns nicht, um unsere Fahne fest-, wenn auch nicht hochzuhalten.

Aber im wogenden Ozean der Weltgeschichte segelten wir ohne Kom≠paя, und einen solchen gilt es zu schaffen. Weit, sehr weit entfernt ist der Hafen, den wir mit der Seele suchen. Wir wissen zur zeit noch nicht einmal, wo er sich befindet, ob im Osten oder im We≠sten. Dem tausendjдhrigen Wanderer jedoch darf kein noch so wei≠ter Weg zu lang sein.

††††††††††† Wie aber jenen Hafen finden, ohne eine Expedition auslauten zu lassen? Sind wir einmal so glьcklich, zu wissen, was uns not tut, und haben wir erst einen Entschluя gefaяt, dann mьssen wir mit aller Vorsicht und Sorgfalt Schritt fьr Schritt vorwдrtsgehen, ja nicht voreilig sein und uns mit aller Kraft dagegen stemmen, daя wir nicht auf Seitenwege abgelenkt werden.

Wohl fehlt uns der {24} geniale Moses als Fьhrer Ч solche Fьhrerschaften gewдhrt das Ge≠schick einem Volke nicht zu wiederholten Malen. Aber die klare Erkenntnis dessen, was uns am meisten not tut, die Erkenntnis der unabweisbaren Notwendigkeit einer eigenen Heimat wьrde eine Anzahl tatkrдftiger, ehrenfester und hochgestellter Volksfreunde unter uns erwecken, die vereint die Fьhrung ihres Volkes ьber≠nehmen und vielleicht nicht minder, wie jener Einzige, uns von Schmach und Verfolgung zu erlцsen imstande wдren.

 

††††††† Was sollen wir zunдchst tun, wie den Anfang machen?

††††††††††† Wir glauben, der Keim zu diesem Anfang ist bereits gegeben: er findet sich in den bereits bestehenden Alliancen.

Ihnen steht es zu, sie sind berufen und verpflichtet, den Grundstein zu legen zu jenem Leuchtturm, auf den unsere Augen gerichtet sein werden. Freilich mьяten diese Alliancen, wenn sie ihrer neuen gro≠яen Aufgabe gewachsen sein sollen, von Grund aus geдndert wer≠den.

Sie mьssen einen Nationalkongreя ausschreiben, dessen Zentrum sie selbst bilden sollen.

Lehnen sie diese Funktion jedoch ab und glauben sie ьber den Rahmen ihrer bisherigen Tдtigkeit nicht hinausgehen zu kцnnen, dann mьssen sie zum mindesten aus sich ein besonderes Nationales Institut, sagen wir ein Direkto≠rium bilden, das jene uns fehlende Einheit zu vertreten hдtte, ohne welche ein Gedeihen unserer Bestrebungen nicht denkbar ist.

Als Vertreter unserer nationalen Interessen mьяte dieses Institut aus den Spitzen unseres Volkes zusammengesetzt werden und die Leitung unserer allgemeinen nationalen Angelegenheiten mit Energie in die Hand nehmen. Unsere grцяten und besten Krдfte Ч Mдnner der Finanz, der Wissenschaft und der Praxis, Staats≠mдnner und Publizisten Ч mьяten einmьtig sich die Hдnde reichen, um nach dem gemeinsamen Ziele zu steuern.

Dieses wьrde haupt≠sдchlich und zunдchst darin bestehen, dem №berschusse der in den verschiedenen Lдndern als Proletarier lebenden und den Ein≠geborenen zur Last fallenden Juden eine sichere und unantastbare Zufluchtsstдtte zu schaffen.

 

††††††† Natьrlich kann es uns durchaus nicht um eine Gesamtauswande≠rung des Volkes zu tun sein. Die relativ geringe Anzahl der Juden im Okzident, welche einen unbedeutenden Prozentsatz der Bevцl≠kerung ausmacht und vielleicht aus diesem Grunde besser gestellt ist, ja bis zu einem gewissen Grade sich dort naturalisiert hat, mag auch fernerhin verweilen, wo sie sich befindet. Auch dort, wo die Juden nicht leicht toleriert werden, mцgen die Wohlhabenden ver≠bleiben.

Aber es gibt, wie wir bereits gesagt haben, einen gewissen {25} Saturationspunkt, welchen die Juden nicht ьberschreiten dьrfen, wenn sie nicht den Gefahren der Judenverfolgung ausgesetzt sein wollen, wie in Ruяland, Rumдnien, Marokko usw. Dieser №ber≠schuя ist es, der, sich und den anderen eine Last Ч das bцse Fatum des ganzen Volkes heraufbeschwцrt. Fьr dieses Plus eine Zu≠fluchtsstдtte zu schaffen, ist jetzt hцchste Zeit.

††††††††††† Mit der Grьndung eines solchen dauernden Asyls muя man sich beschдftigen, nicht mit zwecklosen Sammlungen von Geldspenden fьr Pilger oder fьr Flьchtlinge, die in ihrer Bestьrzung ein ungast≠liches Heim verlassen, um in dem Abgrunde einer unbekannten Fremde unterzugehen.

††††††††††† Die erste Aufgabe jenes von uns so sehr vermiяten und unbedingt ins Leben zu rufenden Nationalinstitutes mьяte darin bestehen, ein fьr unsere Zwecke passendes, mцglichst einheitliches und zusam≠menhдngendes Territorium ausfindig zu machen. In dieser Be≠ziehung werden sie wohl am besten jene beiden in entgegengesetz≠ten Weltgegenden liegenden Lдnder empfehlen, welche sich in der letzten Zeit den Rang streitig gemacht haben und zwei entgegen≠gesetzte Strцmungen fьr die Auswanderung der Juden schufen. Diese Spaltung war der Todeskeim fьr die ganze Bewegung.

††††††††††† Ohne Plan, Ziel und Einheit, wie die letzte Emigration gewesen, mьяte man sie tatsдchlich als gдnzlich miяlungen und im Sande verlaufen betrachten, wenn sie nicht zu lehrreich wдre fьr unser zukьnftiges Tun und Lassen.

Bei dem totalen Mangel an Voraus≠sicht, verstдndiger Kalkulation und kluger Einigkeit war es un≠mцglich, in diesem Chaos von umherirrenden, hungernden Flьcht≠lingen eine irgendwie aussichtsvolle Bewegung nach einem be≠stimmt vorgesteckten Ziele zu erkennen.

Das war keine Emigration, sondern eine verhдngnisvolle Flucht. Fьr die armen Flьchtlinge waren die Jahre 1881Ч82 ein mit Verwundeten und Leichen be≠deckter Heerweg. Und selbst die Wenigen, welche so glьcklich wa≠ren, das Ziel ihrer Wьnsche, den ersehnten Hafen, zu erreichen,

fanden in diesem nichts Besseres als auf dem gefahrvollen Wege.

№berall, wo sie hinkamen, war man bestrebt, sie sich vom Halse zu schaffen. Die Auswanderer sahen sich bald vor der verzweifelten Alternative, entweder ohne Obdach, ohne Hilfe und ohne Rat im fremden Lande umherzugehen, oder beschдmt in die ihnen nicht weniger fremde, lieblose Heimat zurьckzuwandern.

Diese Auswan≠derung war fьr unser Volk nichts als ein neues Datum in seiner Martyrologie. Aber dieses ziellose Umherirren im Labyrinth des Exils, an das unser Volk von jeher gewцhnt ist, bringt es nicht um einen Schritt vorwдrts, es versinkt vielmehr immer tiefer in dem {26} klebrigen Morast seines Wanderweges.

In der letzten Emigration ist kein Zeichen des Fortschritts zum Bessern zu entdecken Verfol≠gung, Flucht, Zerstreuung und neues Exil Ч ganz wie in der guten alten Zeit. Die Ermьdung des Verfolgers gцnnt uns jetzt eine kleine Rast, wollen wir uns damit zufriedengeben? Oder wollen wir viel≠mehr diese Rast dazu benutzen, um aus den erworbenen Erfahrun≠gen die gehцrige Moral zu ziehen, damit wir neuen Schlдgen, die nicht ausbleiben kцnnen, entgehen?

 

††††††† Hoffentlich sind wir jetzt ьber jenen Zustand hinaus, in welchem die Juden des Mittelalters klдglich vegetierten.

Die Sцhne der mo≠dernen Kultur in unserem Volke halten ihre Selbstwьrde nicht we≠niger hoch, als unsere Drдnger die ihrige. Aber nicht eher werden wir diese Selbstwьrde mit Erfolg wahren kцnnen, als bis wir uns gдnzlich auf eigene Fьяe gestellt haben. Ist erst ein Asyl fьr unser armes Volk Ч fьr die Flьchtlinge, die unser historisch-prдdestiniertes Geschick uns immer schaffen wird Ч gefunden, dann wer≠den wir gleichzeitig auch in der Achtung der Vцlker steigen.

Es wird gegen den jetzigen Zustand schon ein gewaltiger Fortschritt sein, wenn wir wissen, wohin wir unsere Schritte zu richten haben, falls wir zur Auswanderung gezwungen sind.

Wir werden alsdann nicht mehr wie in den letzten Jahren von so traurigen Eventuali≠tдten ьberrascht werden, wie sie leider gewiя noch mehr als ein≠mal in Ruяland sowohl als auch in anderen Lдndern sich zu wie≠derholen versprechen. Rьstig mьssen wir an die Arbeit gehen, um das groяe Werk der Selbstbefreiung zu vollenden.

Wir mьs≠sen zu allen Mitteln greifen, welche der menschliche Geist und die menschliche Erfahrung geschaffen, damit das heilige Werk einer nationalen Wiedergeburt nicht dem blinden Zufalle ьberlassen bleibe.

 

††††††† Das Land, das wir zu erstehen haben, muя ein produktives sein und eine gute Lage und genьgende Ausdehnung haben, um eine Ansiedlung von einigen Millionen zu gestatten.

Dieses Terrain muя als Nationalgut unverдuяerlich sein.

Seine Auswahl ist na≠tьrlich von der ersten und hцchsten Wichtigkeit und darf dem zu≠fдlligen Gutdьnken oder gewissen vorgefaяten Sympathien Einzel≠ner nicht ьberlassen werden, wie dies leider in der letzten Zeit ge≠schehen.

Dieses Terrain muя einheitlich und rдumlich zusammen≠hдngend sein. Denn es liegt in der Natur unserer Aufgabe, daя wir als Gegengewicht gegen unsere Zerstreuung ein einziges Asyl besitzen, da eine Anzahl von Asylen wiederum unserer alten Zerstreuung gleichkommen wьrde.

Darum mьяte die Auswahl {27} eines solchen nationalen, allen Anforderungen entsprechenden per≠manenten Terrains mit aller Vorsicht getroffen und einem einzigen Nationalen Institute, einer von unserem nationalen Direktorium gebildeten Kommission von Sachverstдndigen anvertraut werden. Nur eine solche Oberinstanz wird nach grьndlichen und umfassen≠den Untersuchungen ein kompetentes Urteil abgeben und bestim≠men kцnnen, auf welchen der beiden Kontinente und auf welche Territorien in denselben unsere endgьltige Wahl zu fallen habe.

††††††††††† Dann erst und nicht frьher soll das Direktorium, in Gemeinschaft mit einem Konsortium von Kapitalisten als Grьndern einer spдter zu bildenden Aktiengesellschaft, einen Strich Landes ankaufen, auf welchem mit der Zeit einige Millionen Juden sich ansiedeln kцnnten. Dieser Landstrich kцnnte entweder in Nordamerika ein kleines Territorium, oder in der asiatischen Tьrkei ein suzerдnes, von der Pforte und den anderen Mдchten als neutral anerkanntes Paschalik bilden. Gewiя wьrde es eine wichtige Aufgabe des Direk≠toriums sein, die Pforte und wohl auch die anderen europдischen Kabinette diesem Plane geneigt zu machen.

††††††††††† Das angekaufte Terrain mьяte unter Kontrolle des Direktoriums durch Vermessung in kleine Parzellen geteilt werden, die je nach цrtlichen Umstдnden entweder zu landwirtschaftlichen oder bau≠lichen oder industriellen Zwecken bestimmt werden kцnnten. Jede entsprechend arrondierte Parzelle (Ackerwirtschaft, Haus mit Garten, Stadthaus, Fabrikanlage usw.) wьrde ein їLotЂ bilden, das dem Bewerber je nach seinem Wunsch zu ьbergeben wдre.

††††††††††† Nach erfolgter Vermessung und Verцffentlichung detaillierter Kar≠ten und eingehender Beschreibungen des Terrains wдre ein Teil der Lots an Juden gegen angemessene Bezahlung zu einem im Verhдlt≠nis des Ankaufspreises genau fixierten, vielleicht um etwas erhцh≠ten Preise zu verkaufen.

Der Erlцs samt Gewinn wьrde teilweise der Finanzgesellschaft gehцren, zum Teil in eine vom Direktorium zu verwaltende Unterstьtzungskasse fьr hilflose Emigranten flie≠яen. Zur Grьndung dieser Kasse kцnnte das Direktorium auch eine Nationalsubskription erцffnen.

Es ist mit Bestimmtheit vorauszu≠sehen, daя unsere Stammesgenossen allerwдrts einen derartigen Subskriptionsaufruf mit Freuden begrьяen wьrden, daя einem der≠artigen heiligen Zwecke die reichsten Spenden zuflieяen wьrden. In der jedem Kдufer ausgelieferten, auf Namen ausgestellten, vom Direktorium und der Gesellschaft unterschriebenen Eigentums≠urkunde wьrde genau die auf der Generalkarte befindliche Num≠mer des Lots angegeben werden, so daя jeder klar ersehen kцnnte, {28} wo sein angekauftes, ihm allein gehцrendes Stьckchen Erde Ч Acker oder Bauplatz sich befindet.

††††††††††† Sicherlich wьrde so mancher Jude, der vielleicht augenblicklich noch durch einen wenig beneidenswerten Erwerbszweig an die alte Heimat gefesselt ist, mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, um fьr sich und seine Kinder durch eine solche Urkunde einen Anker in der Not zu schaffen und jenen traurigen Erfahrungen aus dem Wege zu gehen, an denen die jьngste Vergangenheit so reich ist.

††††††††††† Derjenige Teil des Territoriums, welcher dem Direktorium auf Grund der erwдhnten Nationalsubskription und des zu erwarten≠den finanziellen Gewinnes zur unentgeltlichen Verteilung zufiele, wдre an mittellose, aber arbeitsfдhige Emigranten abzugeben, welche durch цrtliche Komitees zur Berьcksichtigung empfohlen waren.

††††††††††† Wie die Spenden der Nationalsubskription nicht mit einem Male, sondern etwa in jдhrlichen Raten einzulaufen hдtten, so mьяte auch die Ansiedlung allmдhlich und in einer gewissen Ordnung vor sich gehen.

††††††††††† Wьrde die Expertise ihr Gutachten zugunsten Palдstinas oder Sy≠riens abgeben, so dьrfte diese Entscheidung auf der Voraussetzung beruhen,

daя das Land durch Arbeit und Fleiя mit der Zeit in ein recht produktives verwandelt werden kцnne.

In diesem Falle wьrde dort Grund und Boden in Zukunft im Preise steigen. Wird aber das Urteil der Berufenen zugunsten Nordamerikas ausfallen, so mьs≠sen wir uns beeilen.

Wenn man bedenkt, daя in den Vereinigten Staaten Nordamerikas in den letzten 38 Jahren die Bevцlkerungs≠zahl von 17 Millionen auf 50 Millionen gestiegen ist, und daя der Zuwachs der Bevцlkerung in den nдchsten 40 Jahren wahrschein≠lich in demselben Verhдltnis fortdauern wird, so sieht man wohl ein, daя augenblickliches Handeln notwendig sei, wenn wir uns nicht

f ь ri m m e rdie Mцglichkeit verschlieяen wollen, in der neuen Welt ein sicheres Asyl fьr unsere unglьcklichen Brьder zu grьnden.

Daя der Ankauf von Lдndereien in Amerika bei dem raschen Aufschwьnge dieses Landes kein gewagtes Unternehmen, sondern vielmehr ein lohnendes Geschдft sein wьrde, muя jeder, der auch nur ein wenig Urteil hat, auf den ersten Blick einsehen.

Ob jedoch dieser Akt unserer Selbsthilfe ein mehr oder weniger gu≠tes Geschдft werden wird oder nicht, kommt wenig in Betracht gegenьber der hohen Bedeutung, die ein solches Unternehmen fьr die Zukunft unseres unsteten Volkes haben mьяte.

Denn unsicher und prekдr wird unsere Zukunft in Ewigkeit bleiben, so lange in unserer Lage nicht ein radikaler Umschwung eintritt.

N i c h t die {29} bьrgerliche Gleichstellung der Juden in dem einen oder anderen Staate vermag diesen Umschwung herbeizufьhren, sondern ein≠zig und allein die Autoemanzipation des jьdischen Volkes als Nation, die Grьndung eines eigenen jьdischen Kolonistenge≠meinwesens, welches dereinst unsere ureigene, unverдuяerliche Hei≠mat, unser Vaterland werden soll!

†††††††††††

††††††† An Einwendungen gegen unsere Ausfьhrungen wird es freilich nicht fehlen. Man wird uns vorhalten, daя wir die Rechnung ohne den Wirt machen. Welches Land wird uns die Erlaubnis dazu geben, daя wir uns innerhalb seiner Grenzen als Nation konsti≠tuieren? Auf den ersten Blick kцnnte freilich von diesem skepti≠schen Standpunkt aus unser Gebдude als ein Kartenhaus erscheinen, Kindern und Witzbolden zum Ergцtzen.

Wir glauben aber, daя nur gedankenlose Kindheit sich ergцtzen kцnnte an dem Anblick von Schiffbrьchigen, die sich ein kleines Boot anfertigen wollen, um von einem ungastlichen Lande fortzugehen.

Ja, wir gehen so≠gar soweit, daя wir jenen ungastlichen Vцlkern selbst die sonder≠bare Zumutung machen, uns bei unserem Rьckzuge beizustehen. Unsere їFreundeЂ wьrden uns mit demselben Vergnьgen fortziehen sehen, mit welchem wir ihnen den Rьcken kehren.

††††††††††† Natьrlich wird die Grьndung eines jьdischen Asyls ohne Unter≠stьtzung der Regierungen nicht zustande kommen kцnnen. Um diese zu erlangen und den Bestand unseres Asyls fьr immer zu si≠chern, werden die Schцpfer unserer nationalen Wiedergeburt mit Beharrlichkeit und Umsicht vorgehen mьssen.

Was wir erstreben, ist im Grunde weder neu, noch fьr irgend jemand gefдhrlich. An≠statt der vielen Asyle, die wir von jeher zu suchen gewohnt sind, wollen wir ein einziges Asyl haben, dessen Existenz aber auch politisch gesichert sein mьяte.

†††††††††††

їJetzt oder nie!Ђ sei unsere Losung.

Wehe unseren Nachkommen, wehe dem Andenken unserer jьdischen Zeitgenossen, wenn wir die≠sen Moment verpassen!

 

 

 

 


Wir resьmieren den Inhalt dieser Schrift in folgenden Sдtzen:

 

††††††††††† Die Juden sind keine lebende Nation; sie sind ьberall Fremde, da≠hersind sie verachtet.

†††††††††††

††††††††††† Die bьrgerliche und politische Gleichstellung der Juden genьgt nicht, sie in der Achtung der Vцlker zu heben.

 

††††††††††† Das rechte, das einzige Mittel wдre die Schaffung einer jьdischen Nationalitдt, eines Volkes auf eigenem Grund und Boden, die Autoemanzipation der Juden, ihre Gleichstellung als Nation unter Nationen durch Erwerbung einer eigenen Heimat.

 

††††††††††† Man rede sich nicht ein, daя die Humanitдt und die Aufklдrung jemals radikale Heilmittel fьr das Siechtum unseres Volkes sein werden.

 

††††††††††† Der Mangel an nationalem Selbstgefьhl und Selbstvertrauen, an politischer Initiative und an Einheit sind die Feinde unserer natio≠nalen Wiedergeburt.

 

††††††††††† Damit wir nicht gezwungen sind, von dem einen Exil ins andere zu wandern, mьssen wir eine umfangreiche, produktive Zufluchts≠stдtte haben, einen Sammelpunkt, der unser eigen ist.

 

††††††††††† Der gegenwдrtige Moment ist dem entwickelten Plane gьnstiger als jeder andere.

 

††††††††††† Die internationale Judenfrage muя eine nationale Lцsung erfah≠ren. Freilich kann unsere nationale Wiedergeburt nur sehr langsam vor sich gehen.

Wir mьssen den ersten Schritt tun.

Unsere Nachkommen mьssen uns in gemessenem, nicht ьbereiltem Tempo folgen.

 

††††††††††† Die nationale Wiedergeburt der Juden muя durch einen Kongreя jьdischer Notabeln angebahnt werden.

 

††††††††††† Kein Opfer wдre zu groя, um das Ziel zu erreichen, welches die allerwдrts gefдhrdete Zukunft unseres Volkes sicherstellen soll.

 

††††††††††† Die finanzielle Ausfьhrung des Unternehmens kann nach Lage der Sache keinen unьberwindlichen Schwierigkeiten begegnen.

 

Helft Euch selbst, und Gott wird Euch helfen!

 


NACHBEMERKUNG

 

††††††††††† LEON†† PINSKER WAR ARZT, UND NIEMALS IST EINE Diagnose hellsichtiger gestellt und eine Therapie klarer vorgeschrieben wor≠den als in der vorliegenden Untersuchung ьber das Wesen der Judenfrage.

 

Die Erkenntnisse dieser von Pinsker in deutscher Sprache verfaяten und auch deutsch, ohne Namensnennung erschienenen Schrift haben an Gьl≠tigkeit seit den mehr als fьnfzig Jahren, die seit ihrem Erscheinen verstrichen sind, nichts verloren; sie sind von ihnen grausam bestдtigt worden. Die Analyse des jьdischen Problems, die Pinsker im Ruяland des Jahres 1882 durchfьhrte, ist in ihrer ganzen Schдrfe gerade im Deutschland des Jahres 1933 als durchschlagend richtig und als weg≠weisend zu erkennen.

 

††††††††††† Leon Pinsker wurde 1821 zu Tomaschow in Russisch-Polen geboren. Nach Absolvierung des Gymnasiums studierte er zuerst Jura, sattelte aber spдter um und wurde Mediziner. 1856, wдhrend des Krimkrieges, widmete er sich freiwillig der Kranken- und Verwundetenpflege. In den Sechziger- und Siebzigerjahren war er ein eifriger Mitarbeiter der rus≠sisch-jьdischen Presse. Seine Anschauungen unterschieden sich in nichts von denen seiner gebildeten Zeitgenossen.

Er trat energisch fьr die Russifizierung ein, in der er das wichtigste Mittel zur Erlangung der Gleich≠berechtigung sah. Jьdische Kenntnisse besaя er nur in geringem Maяe, er verstand auch nicht Hebrдisch, obwohl sein Vater ein jьdischer Gelehr≠ter von Ruf war.

††††††††††† Die Ereignisse der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, das Auf≠lodern des Antisemitismus in Europa, die Pogrome in Ruяland machten auf Pinsker einen tiefen Eindruck. Er ьberdachte und ьberprьfte seine Anschauungen ьber Gegenwart und Zukunft des jьdischen Volkes. Als Ergebnis dieser inneren Wandlung erschien die vorliegende Schrift, die ihn mit einem Schlage zum Fьhrer einer mit durch sie entstandenen Bewegung machte, der їChibath ZionЂ (їZionsliebeЂ).

 

††††††††††† Anfangs war Pinsker nach der heutigen Terminologie Territorialist:

er gab Palдstina nicht vor anderen Lдndern den Vorzug. Erst im Laufe der Jahre ging ihm die Bedeutung Palдstinas auf. Ende 1884 berief er die їKattowitzer KonferenzЂ ein und stand von da an der Spitze der їChowewe-ZionЂ. Nach der Legalisierung des їOdessaer KomiteesЂ wurde Pinsker zum Vorsitzenden gewдhlt und blieb es bis zu seinem am 9. Dezember 1891 erfolgten Tode.

††††††††††† Theodor Herzl hat die їAutoemanzipationЂ nicht gekannt (oder doch?!- ldn-knigi). Wie fьr Pinsker die Pogrome des barbarischen Ruяland von 1881, war fьr ihn die Antisemitismus-Eruption des hochzivilisierten Frankreich im Dreyfus-Prozeя von 1894 der Anlaя zu jener inneren Erschьtterung, die ihn als einsamen Denker zum Gedanken des їJudenstaatsЂ fьhrte. Wie er der zionistischen Bewegung den weltpolitischen Charakter gab und die Zio≠nistische Organisation schuf, ist bekannt.

Die Balfour-Deklaration von 1917 hat die Grundlage fьr die Schaffung der їNationalen Heimstдtte fьr das jьdische Volk in PalдstinaЂ gelegt. Unter heroischen Anstren≠gungen, unter mannigfaltigen Schwierigkeiten wird heute in Palдstina die Autoemanzipation der Juden verwirklicht.

(1933, Deutschland Ц ldn-knigi)

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