Januar 2003

 

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STRACK, Hermann Leberecht, evangelischer Theologe und Judaist, * 6.5. 1848 in Berlin, + 5.10. 1922 ebenda. Ц

Nach dem Abschluя seiner theologischen und philologischen Studien (Promotion 1873) unternahm S. eine Studienreise nach Ruяland, wo er unter anderem in der Kaiserlichen Bibliothek zu Sankt Petersburg altorientalische Handschriften untersuchte. Seit 1877 wirkte er als auяerordentlicher Professor fьr orientalische Sprachen an der Universitдt Berlin.

Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Tдtigkeit lag auf der Beschдftigung mit dem hebrдischen Alten Testament, dem frьhjьdischen Schrifttum und der Geschichte des palдstinischen Judentums insgesamt. Als einer der ersten christlichen Theologen versuchte er, die alttestamentlich-jьdischen Wurzeln des Christentums mit historisch-kritischen, vornehmlich philologischen Methoden zu ergrьnden.

Dem tieferen Verstдndnis der jьdischen Religion und Kultur sollte auch das 1883 auf Anregung von S. gegrьndete, seit 1886 von ihm geleitete Institutum Judaicum in Berlin dienen, von dem eine bedeutende Schriftenreihe herausgegeben wurde. Bei allem Verstдndnis fьr den israelitischen Glauben gab S. jedoch nie die spezifisch christliche Sichtweise auf und bemьhte sich eifrig um die Missionierung der Juden.

Davon zeugen die von ihm herausgegebenen Zeitschriften їNathanaelЂ (fьr die Arbeit der evangelischen Kirche an Israel, seit 1885) sowie das їJahrbuch der evangelischen JudenmissionЂ (seit 1906), in denen er viele Artikel selbst verfaяte. S.s Missionseifer stieя bei den jьdischen Fachgelehrten auf Skepsis und Ablehnung, wie beispielsweise aus der 1893 von Paulus Meyer publizierten Schrift їWцlfe im SchafsfellЂ hervorgeht.

Andererseits war S. der zunehmende Antisemitismus in weiten Kreisen der Fьhrungsschicht des Deutschen Reiches nicht gleichgьltig. So suchte er in zahlreichen Verцffentlichungen die Vorurteile gegenьber dem Judentum zu entkrдften und ьbte Kritik an der antijьdischen Agitation des Berliner Hofpredigers Adolf Stцcker.

Darьber hinaus verteidigte er in mehreren Ritualmordprozessen, zu denen er als Sachverstдndiger hinzugezogen wurde, die jьdische Seite. Dadurch erwarb er sich groяes Ansehen bei den Juden, zog sich jedoch zugleich den erbitterten Haя fьhrender Antisemiten wie Karl Erbsreich und Theodor Fritsch zu, die Hetzschriften gegen ihn verfaяten.

S.s Lebenswerk wurde 1910 mit der Ernennung zum ordentlichen Honorarprofessor an der Universitдt Berlin und der Verleihung des Titels їGeheimer KonsistorialratЂ gewьrdigt. Das 1916 von S. erstellte їJьdische WцrterbuchЂ, dem er vor allem die Sprache der polnischen Juden zugrundelegte, ist ein besonderes historisches Dokument. In seinen letzten Lebensjahren widmete sich S. der Herausgabe des von Paul Billerbeck (s.d.) erarbeiteten їKommentars zum Neuen Testament aus Talmud und MidraschЂ, mit dem sein Name bis heute verbunden ist. - Indem S. die jьdischen Quellen des Christentums erforschte, war seine wissenschaftliche Arbeit sowohl bahnbrechend fьr die Exegese des 20. Jahrhunderts als auch bedeutend fьr die Judaistik. Bleibendes Verdienst erwarb er sich auяerdem durch sein entschiedenes Eintreten fьr ein besseres Verstдndnis des Judentums und gegen Antisemitismus.

Werke (Auswahl): Prolegomena critica in vetus testamentum hebraicum, quibus agitur I. de codicibus et deperditis et adhuc exstantibus, II. de textu bibliorum hebraicorum qualis talmudistarum temporibus fuerit (Diss.), Leipzig 1873; zus. mit Abraham (Albert) Elijahu Harkavy: Catalog der hebrдischen und samaritanischen Handschriften der Kaiserlichen цffentlichen Bibliothek in St. Petersburg, 2 Bde., St. Petersburg, Leipzig 1875; Hrsg.: Prophetarum posteriorum codex Babylonicus Petropolitanus, St. Petersburg, Leipzig 1876; Die Sprьche der Vдter. Ein ethischer Mischna-Traktat, Karlsruhe 1882; Hebrдische Grammatik mit №bungsstьcken, Litteratur und Vokabular, Karlsruhe, Leipzig 1883 (1885²; engl. №bers., 1886; frz. №bers., 1886; u.d.T. Hebrдische Grammatik mit №bungsbuch, Berlin 1896⁶, 1899⁷; Mьnchen 1902⁸, 1907⁹; Neubearb. v. Alfred Jepsen, Mьnchen 1930¹⁴, 1952¹⁵); zus. mit Carl Siegfried: Lehrbuch der neuhebrдischen Sprache und Litteratur, Berlin 1884; Herr Adolf Stцcker, christliche Liebe und Wahrhaftigkeit, Karlsruhe 1886; Einleitung in den Thalmud, Leipzig 1887 (1908⁴; u.d.T. Einleitung in Talmud und Midra<212>, Mьnchen 1921⁵, Nachdr. 1930, 1961; Neubearb. v. Gьnter Stemberger u.d.T. Einleitung in Talmud und Midrasch, Mьnchen 1982⁷, 1992⁸; engl. №bers., 1931, 1992); Paradigmen zur hebrдischen Grammatik, Berlin 1887 (1888², 1891³; u.d.T. Paradigmata hebraica, Mьnchen 1895⁴, 1902⁵); №bungsstьcke zur hebrдischen Grammatik, Berlin 1887; Aboda Zara. Der Mischnatraktat їGцtzendienstЂ, Berlin 1888; Einleitung in das Alte Testament, Nцrdlingen 1888 (u.d.T. Einleitung in das Alte Testament einschliesslich Apokryphen und Pseudepigraphen, Mьnchen 1895⁴, 1898⁵, 1906⁶); Joma, der Mischnatraktat їVersцhnungstagЂ, Berlin 1888; Die Sprьche der Vдter. Ein ethischer Mischna-Traktat, Berlin 1888²; Hebrдisches Vokabularium, Berlin 1889 (1892³, 1894⁴; Mьnchen 1897⁵, 1901⁶, 1907^8-9, 1914^10-11, 1929¹²); Schabbath. Der Mischnatraktat їSabbathЂ, Berlin, Leipzig 1890; Der Blutaberglaube bei Christen und Juden, Mьnchen 1891 (u.d.T. Der Blutaberglaube in der Menschheit, Blutmorde und Blutritus. Zugleich eine Antwort auf die Herausforderung des `Osservatore Cattolico', Mьnchen 1892<sup>4</sup>; u.d.T. Das Blut im Glauben und Aberglauben der Menschheit. Mit besonderer Berьcksichtigung der `Volksmedizin' und des `jьdischen Blutritus', Mьnchen 1900^5-7, 1911⁸; Nachdr. 1979; engl. №bers., 1909); Die Juden, dьrfen sie їVerbrecher von Religions wegenЂ genannt werden?, Berlin 1893 (u.d.T. Sind die Juden Verbrecher von Religionswegen?, Leipzig 1900); Die Bьcher Genesis, Exodus, Leviticus und Numeri ausgelegt, Mьnchen 1894; Hebrдisches Schreibheft. Ergдnzung zu jeder hebrдischen Grammatik, mit Benutzung der spanischen Bibelhandschrift Kennicott I (vom Jahre 1476), Berlin 1895 (Mьnchen 1902², 1906⁴, 1909⁵, 1912⁶, 1929⁸); Bearb.: Biblisches Lesebuch fьr evangelische Schulen von Karl Vцlker, Gera 1895³ (zahlreiche Ausg. u. Aufl. bis 1945); Abriss des biblischen Aramдisch. Grammatik, nach Handschriften berichtigte Texte, Wцrterbuch, Leipzig 1896 (u.d.T. Grammatik des biblischen Aramдisch mit den nach Handschriften berichtigten Texten und einem Wцrterbuch, 1897²; u.d.T. Grammatik des Biblisch-Aramдischen. Mit den nach Handschriften berichtigten Texten und einem Wцrterbuch, 1905⁴, 1911⁵; Mьnchen 1921⁶); Bearb.: Biblische Geschichten fьr die vier ersten Schuljahre von Karl Vцlker, Gera 1903³(zahlreiche Aufl.); Das Wesen des Judentums, Leipzig 1906; Jesus, die Hдretiker und die Christen nach den дltesten jьdischen Angaben, Leipzig 1910; Sanhedrin-Makkoth, die Mi<212>natraktate ьber Strafrecht und Gerichtsverfahren, Berlin 1910; Das Institutum Judaicum Berolinense in den ersten 30 Jahren seines Bestehens, Berlin 1913; Jьdisches Wцrterbuch. Mit besonderer Berьcksichtigung der gegenwдrtig in Polen ьblichen Ausdrьcke, Leipzig 1916; Jьdischdeutsche Texte. Lesebuch zur Einfьhrung in Denken, Leben und Sprache der osteuropдischen Juden, Leipzig 1917; Jьdische Geheimgesetze?, Berlin 1920 (1925⁹); zus. mit Paul Billerbeck: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 4 Bde., Mьnchen 1922-1928 (Nachdr. 1956, 1965, 1986 ff.); Hrsg.: Nathanael. Zeitschrift fьr die Arbeit der evangelischen Kirche an Israel, Karlsruhe 1885 f., Berlin 1887 ff.; Schriften des Institutum Judaicum in Berlin, Berlin 1886 ff.; zus. mit Otto Zoeckler: Kurzgefaяter Kommentar zu den heiligen Schriften Alten und Neuen Testamentes, sowie zu den Apokryphen, Mьnchen 1887 ff.; Jahrbuch der evangelischen Judenmission, Leipzig 1906 ff.

Lit.: Paulus Meyer, Wцlfe im Schafsfell - Schafe im Wolfspelz. Enthьllungen ьber die Judenmission und eine Abrechnung mit Prof. Strack, 1893; - JьdLex IV/2, 735 f.; - UJE X, 70 f.; - RGG VI, 392; - LThK IX, 1096; - EncJud XV, 418 f.; - Lexikon des Judentums, 780.

Christof Dahm

Letzte ƒnderung: 08.07.1999