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Max Brym, Juli 2002

 

 

Wider die kenntnislose antizionistische Agitation


Sinn und Unsinn der Zionismuskritik

 

Dialektik statt erklдrtem Antizionismus

Es ist in Deutschland von seiten der Palдstina-Solidaritдtsbewegung ein erklдrter Antizionismus hцr- und lesbar. Viele Deutsche, die die israelische Regierungspolitik angreifen, gehen bedenkenlos mit der Parole "Gegen den Zionismus" auf die Straяe. Vergessen oder ignoriert wird hierbei: Der "Kampf gegen den Zionismus" ist mittlerweile eine beliebte Propagandafloskel der extremen Rechten, um den eigenen Antisemitismus zu tarnen.

Gleichwohl kцnnte die Verwendung des Begriffs Zionismus legitim sein, wenn er wissenschaftlich untermauert wдre und der Zionismus tatsдchlich nur die politische Reaktion darstellen wьrde.

Dem ist aber nicht so; nicht umsonst formulierte der marxistische Historiker Isaak Deutscher nach der Shoa: "Meinen Antizionismus, der auf mein Vertrauen in die europдische Arbeiterbewegung basierte, habe ich natьrlich lдngst aufgegeben." Deutscher schrieb an seinem Lebensabend: "Wenn ich in den zwanziger und dreiяiger Jahren, statt gegen den Zionismus anzugehen, die europдischen Juden aufgefordert hдtte, nach Palдstina zu gehen, hдtte ich womцglich geholfen, einige Menschenleben zu retten, die spдter in Hitlers Gaskammern ausgelцscht wurden."

Wer vermag diesen Gedanken zu bestreiten? Es ist notwendig, Nachdenklichkeit und Dialektik wieder in "linke" Gehirnwindungen hineinzubekommen.

Wer mit dem Zionismus nichts anfangen kann, sollte zumindest den Streit mit dem Zionismus so fьhren wie Karl Radek auf dem zweiten und dritten Weltkongreя der Komintern. Auf jenen Kongressen waren die Vertreter der Partei "Poalei Zion" (Arbeiter Zions) als Gastdelegierte vertreten. Mit dem heutigen historischem Abstand sind aber auch die Argumente der Linkszionisten auf den Kongressen nicht ganz von der Hand zu weisen. Sie teilten nicht den Geschichtsoptimismus von Radek, wonach die "Judenfrage in der SU praktisch automatisch gelцst werde". Himmelweit unterschied sich dennoch der damalige Umgang der Komintern mit dem Zionismus von dem, was heute als "Antizionismus" daherkommt.

Heutzutage wird meist kenntnislos auf den Zionismus eingedroschen und - nebenbei bemerkt - das Existenzrecht Israels in Frage gestellt.

Ob das irgendeinem Palдstinenser oder Israeli hilft darf mehr als bezweifelt werden. Es gibt momentan nur die Chance, unter der Losung "Israel und Palдstina - zwei Staaten ein Frieden" zu agieren. Jede andere Position ist nationalistisch und ignoriert das Selbstbestimmungsrecht der einen oder anderen Seite.

Wer unbedingt ьber den Zionismus streiten will, sollte sich zuerst ьber die Genesis der Bewegung kundig machen und die aktuelle Differenziertheit im Zionismus wahrnehmen. Dazu sind die folgenden Zeilen gedacht.

 

Sinn und Unsinn der Zionismuskritik

 

Weit verbreitet ist die Kritik am Zionismus. Dem Zionismus wird unterstellt, eine rassistische extrem nationalistische Bewegung darzustellen. Viele sogenannte Linke dreschen angesichts der aktuellen Ereignisse in Israel mit der Begrifflichkeit Zionismus um sich.

Einige entblцden sich nicht, dem Zionismus faschistoide Zьge anzuheften. Der Zionismus ist, wenn es nach vielen deutschen "linksstehenden" Menschen geht, eine reaktionдre Bewegung.

Vцllig vergessen wird in diesem Zusammenhang die Dialektik, die ein undifferenziertes Schwarz-Weiя-Schema bekanntlich ausschlieяt. Der Autor dieser Zeilen ist jemand, der in dieser Frage an Marx festhдlt. Jener kritisierte bekanntlich Ferdinand Lassalle aufgrund seiner Einschдtzung, wonach es sich bei den Junkern und dem deutschen Bьrgertum um "eine einheitlich reaktionдre Masse" handelt. Marx differenzierte, untersuchte Dinge konkret, was ihn positiv unterschied von dem heutigen Zionismuskritiker.

Der "linke" Zeitgeist schlдgt auf den Zionismus ein, ohne zu wissen, worum es sich dabei eigentliche handelt. Es dьrfte nur bekannt sein, daя sich hinter dem Zionismus Juden verbergen.

Diese sind also eine "reaktionдre Masse", eine genaue historische und aktuelle Untersuchung ist fьr den bundesdeutschen "Linken" unnцtig.

Dem Autor dieser Zeilen geht es darum, eine vernьnftige Debatte in Gang zu bringen. Deshalb wird der Versuch gewagt, in aller Kьrze einige Fakten zu vermitteln, um der unsдglichen antizionistischen Schaumschlдgerei zu begegnen. Eine Positionierung fьr die eine oder andere zionistische Richtung wird in diesem Artikel nicht zu finden sein.

 

Die Entstehung des Zionismus

 

Die Entstehung des Zionismus kann nicht begriffen werden, ohne den Antisemitismus in Betracht zu ziehen.

Das Scheitern der Assimilation der Juden ist eine historische Tatsache.

Der Freiheitsgedanke der bьrgerlichen Aufklдrung hatte fьr die Juden bereits einige problematische Haken.

So erklдrte Fьrst Clemont Tonnerre in der franzцsischen Nationalversammlung 1789: "Man gewдhre den Juden alles als Individuen - nichts aber als Nation."

Die Anhдnger der bьrgerlichen Aufklдrung machten sich diesen Spruch bewuяt oder unbewuяt zu Eigen, darunter auch Moses Heя. Dessen Grabstein im Rheinland ziert der Spruch "Vater der deutschen Sozialdemokratie".

Der Jugendfreund von Marx entwickelte sich allerdings in seinen spдteren Jahren zum jьdischen Patrioten und verfaяte 1862 die Schrift "Rom und Jerusalem".

Der frustrierte Heя formulierte in dem Buch u.a.: "Die Deutschen hassen weniger die Religion der Juden, als ihre Rasse, weniger ihren eigentьmlichen Glauben, als ihre eigentьmlichen Nasen." (Rom und Jerusalem, S. 25)

Der aufgeklдrte Anhдnger der Assimilation, Theodor Herzl, erlebte Mitte der 90er Jahre des vorletzten Jahrhunderts einen doppelbьndigen Schock. Der in Wien lebende Herzl sah den Aufstieg des Antisemiten Karl Lueger zum Bьrgermeister von Wien. Zur selben Zeit verfolgte er als Journalist den unsдglichen Dreyfus-Prozeя in Frankreich.

Die ersten Schriften Herzls sind Ausdruck der Verzweiflung ьber das Scheitern der Integration der Juden in die bestehenden bьrgerlichen Gesellschaften.

Im Oktober 1894 verfaяte er das Stьck "Das neue Ghetto". "Das neue Ghetto" war nichts anderes als die Kritik eines assimilierten Juden an der Assimilation. In dem Stьck kritisierte Herzl sich in Wirklichkeit selbst, denn noch im Jahr 1894 verlieя der Wiener Oberrabbiner die Wohnung Herzls, als er in jener einen Weihnachtsbaum entdeckte.

Das bekannteste Werk von Herzl wurde 1896 in Wien publiziert unter dem Titel "Der Judenstaat, Versuch einer modernen Lцsung der jьdischen Frage".

Wer das Werk liest, wird keine einzige rassistische Passage finden. Eher eine nьchterne Gebrauchsanleitung zum Aufbau eines Staates. Die Schrift ist im wesentlichen pragmatischer Natur, die meisten Kapitelьberschriften haben zweckorientierten Charakter, sie tragen Namen wie "Immobiliengeschдft", "Der Landkauf", "Arbeiterwohnungen", "Arbeitshilfe" usw.

Das Problematische an Herzls Schrift ist, daя er sich das damalige Palдstina als "ein Land ohne Volk, fьr ein Volk ohne Land" vorstellt.

Dies ganz im Gegensatz zu Achad Ha Am, einem Kulturzionisten aus Odessa. Jener nahm die arabische Bevцlkerung von Anfang an wahr und galt somit zur damaligen Zeit als Hauptrivale Theodor Herzls. Herzl nahm als Kind seiner Zeit, der Zeit des Kolonialismus, die Ansprьche der eingesessenen Bevцlkerung nur teilweise zur Kenntnis.

Dort wo er die einheimische Bevцlkerung entdeckte, findet sich kein chauvinistisches oder rassistisches Wort. Zum Beleg: "Und fьgt es sich, daя auch anders Glдubige, anders Nationale unter uns wohnen, so werden wir ihnen einen ehrenvollen Schutz und die Rechtsfreiheit gewдhren." (Herzl, Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 95)

Sein Gesellschaftsmodell beruht keinesfalls auf dem Modell des klassischen europдischen Nationalstaates, sondern er orientierte auf einen freiwilligen Zusammenschluя aller daran interessierten Personen. Herzl ging es im wesentlichen um die Rettung der Juden auf bьrgerlicher Grundlage, im teilweisen Widerspruch zu den hauptsдchlich aus Ruяland stammenden Kulturzionisten. Jenen ging es nicht nur um die Rettung der Juden, sondern um die Rettung des Judentums.

Die zionistische Bewegung hatte lange vor Herzl in Ruяland eine Massenbasis gefunden aufgrund der Progrome nach dem Attentat auf Zar Alexander 1881. Im Jahr 1882 schrieb der bis dato assimilierte jьdische Arzt Leo Pinsker das Buch "Autoemanzipation". Das Buch spiegelt den Geschichtspessimismus und die Verzweiflung des Autors in Sachen "Emanzipationsmцglichkeit" wieder.

Die erste groяe Auswanderungswelle nach Palдstina von Juden erfolgte nach den Pogromen in Ruяland ab dem Jahr 1881.

 

Die Differenziertheiten im Zionismus

 

Es besteht hier nicht die Mцglichkeit die gesamte zionistische Literatur und die politische Zersplitterung des Zionismus nachzuzeichnen.

Die Darstellung kann nur methodische Hinweise vermitteln, um den Themenkomplex zu erfassen. Vieles ist von daher kurz gefaяt und der Schreiber dieses Artikels ist sich des Risikos, divers interpretiert zu werden, durchaus bewuяt.

Dennoch der Versuch in aller Kьrze den Zionismus zu unterteilen.

Es gab liberale Zionisten, religiцse Zionisten, sozialistische Zionisten und die revisionistischen Zionisten.

Zu den allgemeinen oder liberalen Zionisten sind Personen wie Herzl, Weizmann oder Nahum Goldmann zu rechnen.

Die "sozialistischen" Zionisten, die die Partei Poalei Zion (Arbeiter Zions) grьndeten, waren die bestimmende Kraft unter den Juden in Palдstina ab der zweiten Einwanderungswelle 1905 aus Ruяland. Fьr diese Strцmung stehen Namen wie Syrkin, Ber Borochov und Berl Katznelson. Diese Strцmung hatte als ideologische Grundlage die Schaffung eines jьdisch sozialistischen Staates, um im Zuge der sozialistischen Weltrevolution eine normale sozialistische Nation unter anderen bilden zu kцnnten.

Sie lehnten die Zusammenarbeit mit jьdischen Kapitalisten aus der Diaspora ab, die Grund und Boden von arabischen Groяgrundbesitzern erwarben, die meist in Beirut oder Paris lebten, weil sie die Unterwerfung unter das Profitstreben des jьdischen Kapitalisten negierten. So ist die Entstehung der Kibbuzim zu erklдren.

Die Crux an der Ideologie der "sozialistischen" Zionisten war, daя sie von der Wiedereroberung der Arbeit und des Bodens bezogen auf die Juden ausgingen. Von daher integrierten sie keine Palдstinenser in ihre Projekte. Dennoch ist anfangs noch vom gemeinsamen Klassenkampf mit der arabischen Bevцlkerung gesprochen und geschrieben worden. Die "sozialistischen" Zionisten haben durchaus unfruchtbares Land fruchtbar gemacht. Demzufolge etwas entwickelt, woran kein "Kapitalist" oder "Spekulant" interessiert war.

Die religiцsen Zionisten bildeten zu Beginn des Zionismus eine kleine Minderheit. Bekanntlich sagt die jьdische Orthodoxie, daя das Land Israel nur von Gott kommen kцnnte. Ein kleiner Teil von religiцsen Juden unterstьtzte anfangs den Zionismus als sogenannte Vorform der gцttlich Verheiяung. Allerdings konnten sie wenig mit den "sozialistischen" Zionisten und mit Theodor Herzl anfangen, der in seinen Schriften "die Religion auf den Tempelberg verbannen wollte".

Eine andere Gruppe waren die Zionisten-Revisionisten um Jabotinsky. Jene spalteten sich 1929 von der Hauptstrцmung des Zionismus ab. Nachdem die zionistischen Weltkongresse 1921, 1925 und 1929 Resolutionen annahmen zur Verstдndigung und zur Zusammenarbeit mit den Arabern.

Jabotinsky schloя eine Verstдndigung mit den in dem Gebiet lebenden Palдstinensern prinzipiell aus. Eine vцllig anders geartete Position hatte die Strцmung um Martin Buber, die von einem binationalen Gebilde in der Region trдumte. Sie unterbreiteten den arabischen Fьhrern zig Angebote zur Zusammenarbeit, die stets unbeantwortet blieben. Zu dem von Buber inspirierten "Haus des Friedens" bekannte sich auch Dr. Arthur Ruppin, der in Israel bis heute als Vater der Siedlungsbewegung gilt. Jener schrieb in seinem Buch "Soziologie der Juden" von 1931 Folgendes: "Auf den zionistischen Kongressen von 1921, 1925 und 1929 ist der Wusch nach Zusammenarbeit mit den Arabern ausgesprochen und anerkannt worden, daя in Palдstina keine Nationalitдt ьber die andere herrschen darf."

Er schrieb von einem Staatswesen, "in dem Juden und Araber als zwei gleichberechtigte Nationalitдten nebeneinander leben sollten". Er nannte dies den binationalen Charakter Palдstinas. Auf diese Gedanken lieяen sich weder die arabischen feudalen Fьhrer, noch die zionistischen Revisionisten um Jabotinsky ein.

 

Resьmee

 

Die methodische Untergliederung der zionistischen Bewegung und die nцtige Differenziertheit ist unabdingbar, um die heute in Israel bestehende Lage zu begreifen.

Ein Hau-Drauf-Antizionismus ist eine Phrase, die gemeingefдhrlich ist. Gefдhrlich deshalb, weil das Hauptanliegen des historischen Zionismus, einen jьdischen Staat mit allen Rechten fьr die dort lebenden Minderheiten zu schaffen, abgelehnt wird.

Damit wird das Existenzrecht Israels in Frage gestellt.

Der prinzipielle Antizionist ist jemand, der das Selbstbestimmungsrecht der Israelis ignoriert und stattdessen nur das Selbstbestimmungsrecht fьr die Palдstinenser gelten lдяt.

Statt zu erkennen, es gibt die Realitдt Israel, es gibt aber auch die Notwendigkeit den Palдstinensern ihre Rechte zu gewдhren, was unter den momentanen Bedingungen nur heiяen kann: "Israel und Palдstina - zwei Staaten ein Frieden".

Die Diskussion ьber den Zionismus hat in Seminaren stattzufinden und wissenschaftlich auch die Probleme der Bewegung in ihrem historischen Rahmen zu analysieren. Keinesfalls darf eine hirn- und kenntnislose antizionistische Agitation auf der Straяe hingenommen werden. Denn hдufig ist dies aufgrund des Kenntnisstandes der selbsterklдrten deutschen "Antizionisten" nichts anderes als Antisemitismus.

 

aus der Website -   http://www.members.partisan.net/maxbrym/html/as_wider.htm

 

 

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